Rz. 57

 

§ 650r Sonderkündigungsrecht

(1) Nach Vorlage von Unterlagen gemäß § 650p Absatz 2 kann der Besteller den Vertrag kündigen. Das Kündigungsrecht erlischt zwei Wochen nach Vorlage der Unterlagen, bei einem Verbraucher jedoch nur dann, wenn der Unternehmer ihn bei der Vorlage der Unterlagen in Textform über das Kündigungsrecht, die Frist, in der es ausgeübt werden kann, und die Rechtsfolgen der Kündigung unterrichtet hat.

(2) Der Unternehmer kann dem Besteller eine angemessene Frist für die Zustimmung nach § 650p Absatz 2 Satz 2 setzen. Er kann den Vertrag kündigen, wenn der Besteller die Zustimmung verweigert oder innerhalb der Frist nach Satz 1 keine Erklärung zu den Unterlagen abgibt.

(3) Wird der Vertrag nach Absatz 1 oder 2 gekündigt, ist der Unternehmer nur berechtigt, die Vergütung zu verlangen, die auf die bis zur Kündigung erbrachten Leistungen entfällt.

 

Rz. 58

§ 650r BGB gewährt infolge Art. 1 Nr. 25 BauVertrRRG im Rahmen eines nach dem 31.12.2017 abgeschlossenen Architekten- oder Honorarvertrags (vgl. Art. 229 § 39 EGBGB), bei dem der Planungs- und Überwachungserfolg bei Vertragsschluss noch nicht festgelegt worden ist (d.h. nach Abschluss der Zielfindungsphase gemäß § 650p Abs. 2 BGB [vorstehende Rdn 27 ff.]), sowohl

dem Besteller in Abs. 1 (nachstehende Rdn 65 ff.) als auch
dem Unternehmer in Abs. 2 (Rdn 79 ff.) – Letzterem aber nur beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen –

ein besonderes Kündigungsrecht (Sonderkündigungsrecht)[132]  – und zwar ungeachtet des Vorliegens anderer Vertragslösungsrechte.[133]

 

Rz. 59

Hat der Besteller seine Zustimmung nach § 650p Abs. 2 S. 2 BGB erteilt, kann der Unternehmer in die zweite Planungsphase übergehen – hat der Besteller seine Zustimmung verweigert, eröffnet § 650r BGB "den Parteien die Möglichkeit, den Vertrag in dieser Phase und auf kostengünstige Weise zu beenden".[134] Der Besteller kann den Vertrag nach § 650r Abs. 1 BGB kündigen – tut er das nicht, eröffnet § 650r Abs. 2 BGB dem Unternehmer die Möglichkeit, den vertraglichen Schwebezustand seinerseits durch Kündigung zu beenden. Kündigt weder der Besteller noch der Unternehmer, verbleibt die weitere Vertragsdurchführung "in der Schwebe".[135]

 

Rz. 60

§ 650r Abs. 3 BGB regelt im Übrigen abschließend – und ohne Rückgriff auf § 649 BGB – die Folgen in Bezug auf die Vergütungsfrage im Zusammenhang mit der Ausübung des Sonderkündigungsrechts.

 

Rz. 61

 

Beachte:

§ 650r BGB soll im Wege einer Individualvereinbarung abdingbar sein (Abding­barkeit) – nicht jedoch durch AGB (arg.: Wegen der Leitbildfunktion der Norm soll gegenüber einem Verbraucher sowohl ein Ausschluss von dessen Kündigungsrecht nach § 650r Abs. 1 S. 1 BGB als auch ein Verzicht auf die notwendige Belehrung nach § 650r Abs. 1 S. 2 BGB bzw. eine Verschärfung der Rechtsfolgen gemäß § 650r Abs. 3 BGB zu dessen Nachteil unwirksam sein, vgl. § 307 Abs. 2 BGB).[136]

 

Rz. 62

Vor allem der Verbraucher soll durch das Sonderkündigungsrecht vor den Rechtsfolgen eines oft übereilt abgeschlossenen umfassenden Architektenvertrags – der alle neun Leistungsphasen des § 34 HOAI beinhaltet – geschützt werden[137] (Verbraucherschutz), da diesem ansonsten (d.h. ohne ein Sonderkündigungsrecht) nur die mit erheblichen finanziellen Nachteilen verbundene Möglichkeit der Ausübung des Kündigungsrechts nach § 648 BGB[138] (entspricht § 649 BGB alt) zur Verfügung stünde.

 

Rz. 63

 

Beachte:

Das Sonderkündigungsrecht nach § 650r BGB erstreckt sich sowohl auf Architekten- als auch auf Ingenieurverträge (da auch bei Ingenieursleistungen noch hinsichtlich der Planungs- und Überwachungsziele konkretisierungsbedürftige Verträge vorkommen, bei denen der Besteller im weiteren Planungsverlauf erkennt, dass er die Gesamtkosten des Vorhabens unterschätzt hat und daher von der Vertragsdurchführung absehen möchte).[139]

 

Rz. 64

 

Beachte zudem:

Das Sonderkündigungsrecht erfasst im Übrigen (obgleich ursprünglich eigentlich verbraucherschutzrechtlich intendiert)[140] auch Verträge zwischen Unternehmern (b2b-Verträge), da in diesem Zusammenhang auch im unternehmerischen Bereich wegen des Abschlusses "gestufter Verträge" ein praktisches Bedürfnis besteht, den Vertragspartnern eine Lösungsmöglichkeit zu eröffnen.[141]

[132] Zur Normstruktur näher jurisPK-BGB/Stelzner, § 650r Rn 3 ff.
[133] Palandt/Sprau, § 650r BGB Rn 1.
[134] Palandt/Sprau, § 650r BGB Rn 1.
[135] Was nicht tragisch sei, da das Kündigungsrecht des Unternehmers nicht befristet ist, er also im Nachgang jederzeit die Möglichkeit zur Kündigung (und damit zur Abrechnung seiner Leistungen) hat: so Palandt/Sprau, § 650r BGB Rn 1.
[136] Palandt/Sprau, § 650r BGB Rn 1.
[137] RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 70.
[138] "Der Besteller kann bis zur Vollendung des Werkes jederzeit den Vertrag kündigen. Kündigt der Besteller, so ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbei...

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