Rz. 220

Der wohl wichtigste und für den Gläubiger ertragreichste Antrag in der Zwangsvollstreckung stellt § 850c Abs. 6 ZPO, die Nichtberücksichtigung gesetzlich unterhaltsberechtigter Personen, dar.

Hat eine Person, welcher der Schuldner aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt, eigene Einkünfte, so kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass diese Person bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt; soll die Person nur teilweise berücksichtigt werden, so kann entgegen § 850c Abs. 5 ZPO kein Bezug auf die Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung genommen werden. Vielmehr ist der pfändungsfreie Betrag dann betragsmäßig festzusetzen.

Die gesetzliche Regelung geht noch von dem gesellschaftlich überkommenen Bild aus, dass der Schuldner der Alleinverdiener ist. Insoweit wird nicht berücksichtigt, dass nach der gesellschaftlichen Wirklichkeit Ehegatten ebenso wie Eltern regelmäßig beide arbeiten. Bei Kindern ist zu sehen, dass diese in der Trennungssituation über Unterhaltsansprüche als eigenes Einkommen verfügen sowie in der Ausbildung den Mindestlohn für Auszubildende nach § 17 BBiG erhalten.

 

Rz. 221

 

Hinweis

Die notwendigen Erkenntnisse muss der Gläubiger sich über Selbstauskünfte des Schuldners oder – gerade in Trennungsfällen – der gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen oder über die Vermögensauskunft beschaffen.

 

Rz. 222

Die Nichtberücksichtigung wirkt sich ganz erheblich auf den pfändbaren Betrag aus. Die nachfolgende Tabelle zeigt, wie sich der Pfändungsfreibetrag verändert, wenn eine unterhaltsberechtigte Person (uP) unberücksichtigt bleibt.

 
Schwellenbetrag 5 uP 4 uP 3 uP 2 uP 1.uP SU
3.110 EUR 0,39 EUR 59,58 EUR 177,38 EUR 354,38 EUR 589,98 EUR 1.195,40 EUR
2.820 EUR 0 EUR 1,58 EUR 90,58 EUR 238,38 EUR 444,98 EUR 992,40 EUR
2.520 EUR 0 EUR 0 EUR 0,58 EUR 118,38 EUR 294,98 EUR 782,40 EUR
1.230 EUR 0 EUR 0 EUR 0 EUR 2,38 EUR 149,98 EUR 579,40 EUR
1.940 EUR 0 EUR 0 EUR 0 EUR 0 EUR 4,98 EUR 376,40 EUR
1.410 EUR 0 EUR 0 EUR 0 EUR 0 EUR 0 EUR 5,40 EUR
 

Beispiel

Hat der verheiratete Schuldner also vier Kinder und damit fünf unterhaltsberechtigte Personen (Ehegatte und vier Kinder), so ergibt sich bei einem Nettoeinkommen von 3.110 EUR nur ein pfändbarer Betrag von 0,39 EUR. Arbeiten allerdings der Ehegatte und zwei der vier Kinder und verdienen mehr als 500–600 EUR netto monatlich, so reduziert sich die Zahl der unterhaltsberechtigten Personen auf zwei, sodass nunmehr 354,38 EUR, mithin 353,99 EUR Monat für Monat mehr pfändbar sind.

Zu berücksichtigen ist auch, dass bei einem verheirateten Schuldner der Ehegatte möglicherweise nicht nur sich unterhalten kann, sondern aufgrund seines seinen eigenen Bedarf übersteigenden Einkommens (> 500–600 EUR) auch seinen (hälftigen) Unterhaltspflichten gegenüber den gemeinsamen Kindern nachkommen kann, sodass diese dann – zur Hälfte – nicht zu berücksichtigen sind.

 

Rz. 223

Die Nichtberücksichtigung unterhaltsberechtigter Personen erfolgt nach § 850c Abs. 6 ZPO nur auf Antrag des Gläubigers. Die Antragstellung erfolgt dadurch, dass es im Antrag auf Erlass eines Pfändungsbeschlusses oder eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nach Anlage 4 ZVFV heißt

"Es wird beantragt, den beigefügten Entwurf wie ausgefüllt als Beschluss zu erlassen"

und durch das entsprechende Ankreuzen des Kästchens zu Modul R der Anlage 5 ZVFV. Die aufgezeigte Formulierung zeigt zugleich, dass der Gläubiger oder sein Bevollmächtigter als "Vorschlag" auch das Modul R befüllen können, wenn nur gesichert ist, dass der Rechtspfleger die Voreintragungen entfernen, ergänzen oder ändern kann, d.h. das Formular nach Anlage 5 ZVFV als ausfüllbares und änderbares PDF übermittelt wird.

 

Rz. 224

Wiederum nicht recht zu erklären ist, weshalb die Geburtsdaten der unterhaltsberechtigten Personen erneut angegeben werden müssen, obwohl diese schon in Modul P angegeben wurden. Eine Referenzierung auf die Module O und P durch eine Nummerierung könnte den Aufwand des Antragstellers sowie des kontrollierenden Rechtspflegers vermindern.

 

Rz. 225

Wird der Antrag nach § 850c Abs. 6 ZPO nicht gestellt, so kann auf das Modul als Ganzes verzichtet werden, § 3 Abs. 2 Nr. 6b i.V.m. § 3 Abs. 3 Nr. 2 ZVFV.

 

Rz. 226

Der Antrag kann auch nach dem Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses – dann isoliert – gestellt werden. Dies kann etwa dann notwendig werden, wenn der Gläubiger erst nach dem Erlass Informationen zu eigenen Einkünften der gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen erlangt oder diese erst nach dem Erlass überhaupt eine eigene Erwerbstätigkeit mit entsprechenden Einkünften aufnehmen. Der Antrag nach § 850c Abs. 6 ZPO kann dann isoliert gestellt werden. Er unterfällt isoliert nach § 2 ZVFV nicht der Formularpflicht. Das schließt es nicht aus, auf das Modul R zurückzugreifen, um den Antrag mit einem gewissen Wiedererkennungseffekt für das Vollstreckungsgericht zu gestalten.

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