Rz. 163

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung muss zulässig und begründet sein. Es müssen die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen, die Zugangsvoraussetzungen erfüllt sein und Aussetzungsgründe bestehen.

a) Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen

 

Rz. 164

Vorläufiger Rechtsschutz muss mit der Aussetzung der Vollziehung erreichbar sein (besonderes Rechtsschutzbedürfnis).[240] Die Hauptsache muss regelmäßig eine Anfechtungsklage sein.[241] Die Aussetzung der Vollziehung setzt vollziehbare Verwaltungsakte voraus. Dies sind in erster Linie die Verwaltungsakte, die eine Geldleistung (Steuern, Rückforderung einer Steuervergütung, Zinsen, Kosten) fordern.

[240] BFH v. 28.11.1974, BStBl II 1975, 240; BFH v. 21.12.1982, BStBl II 1983, 232.
[241] Vgl. im Einzelnen Gräber/Stapperfend, FGO, § 69 Rn 6.

b) Einlegung eines Rechtsbehelfs

 

Rz. 165

Der Steuerpflichtige muss den Verwaltungsakt angefochten haben, d.h. gegen ihn Einspruch (§ 347 AO) eingelegt oder die Klage (regelmäßig Anfechtungsklage) erhoben haben.[242] Das Gericht kann zwar vor Klageerhebung aussetzen (§ 69 Abs. 3 S. 2 FGO), nicht aber, bevor der außergerichtliche Rechtsbehelf eingelegt ist.

[242] BFH-GS v. 4.12.1968, BStBl II 1968, 199; BFH v. 9.5.1969, BStBl II 1969, 547; BFH v. 19.8.1969, BStBl II 1969, 685.

c) Erfolgloser Aussetzungsantrag bei der Finanzbehörde

 

Rz. 166

Der Antrag beim Finanzgericht ist nur zulässig, wenn die Finanzbehörde einen Aussetzungsantrag ganz oder zum Teil abgelehnt hat, § 69 Abs. 4 S. 1 FGO.[243] Diese besondere Zugangsvoraussetzung muss nach h.M. im Zeitpunkt der Antragstellung erfüllt sein.[244] Nach h.M. genügt es, dass die Finanzbehörde die Aussetzung der Vollziehung einmal abgelehnt hat; es ist also nicht nötig, von der Finanzbehörde z.B. zunächst die Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheides, dann nochmals die des Steuerbescheides in Gestalt der Einspruchsentscheidung zu verlangen. Ein einmaliges "Njet" genügt.[245] § 69 Abs. 4 S. 1 FGO setzt nicht voraus, dass der Einspruch oder der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung begründet wurde.[246]

[243] Weitere Möglichkeit der Zulässigkeit ist, dass gem. § 69 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 und 2 FGO die Finanzbehörde über einen Antrag ohne Mitteilung eines ausreichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder eine Vollstreckung droht.
[244] St. Rspr. des BFH, z.B. BFH v. 11.10.1979, BStBl II 1980, 49.
[245] BFH v. 22.10.1980, BStBl II 1981, 99; BFH v. 5.5.1981, BStBl II 1981, 574; BFH v. 8.6.1982, BStBl II 1982, 608; BFH v. 21.9.1983, BStBl II 1984, 210; Gräber/Stapperfend, FGO, § 69 Rn 150.

d) Aussetzungsgründe: Ernstliche Zweifel, unbillige Härte

aa) Zweifel

 

Rz. 167

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen, wenn bei der überschlägigen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken.[247] Trotz des Wortlauts des § 69 Abs. 3 S. 1 FGO ("kann … aussetzen") gebietet die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG die Aussetzung beim Vorliegen dieser Voraussetzung.[248]

[247] St. Rspr. des BFH, z.B. BFH v. 10.2.1967, BStBl III 1967, 533; BFH v. 17.5.1978, BStBl II 1978, 579; BFH v. 28.5.1986, BStBl II 1986, 656; BFH v. 5.4.2005, BStBl II 2005, 526; m.w.N. z.B. bei Tipke/Kruse, § 69 FGO Rn 89; Schrömbges, DB 1988, 1418; Gräber/Stapperfend, FGO, § 69 Rn 160 ff.
[248] BFH v. 4.12.1967, BStBl II 1968, 199; BFH-GrS v. 27.12.1984, BStBl II 1984, 854; BFH v. 23.8.1984, BStBl II 1984, 857.

bb) Härte

 

Rz. 168

Das Finanzgericht muss auch dann aussetzen, wenn die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Auszusetzen ist also dann, wenn die wirtschaftlichen Nachteile nicht oder nur schwer wieder gutzumachen sind oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Steuerpflichtigen führen würde.[249]

[249] Vgl. zur Auslegung der Begriffe BFH v. 19.4.1968, BStBl II 1968, 538; BFH v. 21.2.1990, BStBl II 1990, 510; freilich soll nach der u.E. abzulehnenden Rspr. die Aussetzung wegen unbilliger Härte nicht gänzlich ohne Rücksicht auf die Zweifelhaftigkeit der Rechtslage und die Erfolgschancen des Rechtsbehelfs gewährt werden, BFH v. 21.12.1967, BStBl II 1968, 84; BFH v. 13.12.1989, BFH/NV 1990, 474, a.A. FG München v. 11.6.2008 – 14 V 439/08; Aufhebung der Vollziehung, wenn streitentscheidende Norm dem BVerfG zur Prüfung vorgelegt wurde: BFH v. 22.12.2003, BStBl II 2004, 367.

e) Aussetzungsumfang

 

Rz. 169

Soweit der Verwaltungsakt bereits vollzogen ist, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung.[250] Die freiwillig gezahlten oder zwangsweise beigetriebenen Steuern werden vorläufig erstattet. Gem. § 69 Abs. 2 S. 8 FGO gilt, dass eine Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, ggf. um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Voraus...

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