Rz. 9

§ 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 ErbStG knüpft die unbeschränkte Steuerpflicht an die Inländereigenschaft des Erblassers, des Schenkers oder des Erwerbers. Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer, der sich nach § 9 ErbStG richtet. Inländer ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 ErbStG jede natürliche Person, die im Inland einen Wohnsitz (§ 8 AO) oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) hat. Die Staatsangehörigkeit ist insoweit zunächst unbeachtlich. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung wird ein Wohnsitz im Sinne von § 8 AO nicht erst dadurch begründet, dass eine Wohnung ständig genutzt wird und gleichzeitig die Absicht besteht, in ihr einen Wohnsitz zu haben.[10] Vielmehr ist der steuerrechtliche Wohnsitzbegriff weitgehend objektiviert und stellt daher auf äußerliche Merkmale ab, deren Vorliegen als Indiz für die subjektiven Absichten des Steuerpflichtigen anzusehen sind.[11]

 

Rz. 10

Gerade vor dem Hintergrund, dass eine Person ohne Weiteres gleichzeitig mehrere Wohnsitze sowohl im In- als auch im Ausland besitzen kann,[12] sind die Anforderungen an die Begründung bzw. das Beibehalten eines inländischen Wohnsitzes sowohl nach Verwaltungsauffassung als auch aus der Sicht der Rechtsprechung eher gering.[13] So hat der BFH in einer viel zitierten Entscheidung eine im Eigentum des Steuerpflichtigen stehende Doppelhaushälfte, die nur wenige Wochen im Jahr (dies aber regelmäßig) zu Jagdaufenthalten genutzt wurde, als inländischen Wohnsitz angesehen.[14] Hat einer von zwei Ehegatten eine inländische Wohnung, gilt diese – jedenfalls bei intakter Ehe –auch als inländischer Wohnsitz des anderen Ehegatten.[15]

 

Rz. 11

Soweit ein Wohnsitz im Inland nicht besteht, kann die unbeschränkte Steuerpflicht durch das Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von § 9 AO eintreten. Insoweit setzt das Gesetz voraus, dass sich jemand an einem Ort unter solchen Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Ein zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten ist grundsätzlich ausreichend. Regelmäßig wiederkehrende Kur- oder Erholungsaufenthalte sind grundsätzlich nicht geeignet, einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland zu begründen.[16] Dies gilt selbst bei Aufenthalten von mehr als sechs Monaten, wenn diese ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken unternommen werden und nicht länger als ein Jahr dauern (§ 9 S. 3 AO).

 

Rz. 12

Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 1 ErbStG könnte man den Eindruck gewinnen, die Inländereigenschaft des Erblassers/Schenkers sowie des Erwerbers führten im selben Umfang zur unbeschränkten Steuerpflicht. Insoweit ist der Wortlaut des Gesetzes jedoch irreführend. Tatsächlich führen Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt des Erblassers/Schenkers grundsätzlich zur unbeschränkten Steuerpflicht hinsichtlich des gesamten Vermögensübergangs, und zwar unabhängig davon, wer Erwerber ist und ob dieser oder einer von ihnen ebenfalls Inländer ist. Soweit der Erblasser/Schenker nicht Inländer im oben beschriebenen Sinne ist, wird aber nur derjenige Erwerber als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt, in dessen Person die Inländereigenschaft vorliegt. Mithin wird, wenn nur einer von mehreren Erwerbern, nicht aber der Erblasser Inländer ist, lediglich der auf den inländischen Erwerber entfallene Teil von der unbeschränkten Steuerpflicht erfasst. Der Begriff "gesamter Vermögensanfall" in § 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 ErbStG greift also bei einem inländischen Erblasser oder Schenker weiter als in dem Fall, in dem nur ein Erwerber Inländer ist.[17]

 

Rz. 13

 

Beispiel

Der zuletzt in Deutschland ansässige verwitwete Erblasser E wird von seiner ebenfalls in Deutschland lebenden Tochter T und seinem seit sechs Jahren im Ausland lebenden Sohn S zu jeweils ½ beerbt. Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus im Ausland belegenen Vermögenswerten.

Lösung

T und S unterliegen gleichermaßen der unbeschränkten Steuerpflicht für den gesamten Vermögensanfall. Die Belegenheit des Vermögens im Ausland ist ohne Belang. Darauf, dass sich S seit sechs Jahren im Ausland aufhält, kommt es hier nicht an, weil der Erblasser Inländer im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1a) ErbStG war.

Wäre E dagegen bei sonst identischem Sachverhalt zusammen mit seinem Sohn in das Ausland gezogen und hätte er seinen inländischen Wohnsitz aufgegeben, wäre nur der auf T entfallende hälftige Vermögensanteil in Deutschland steuerpflichtig.[18]

[10] BFH v. 23.11.1988 – II R 139/8,7, BStBl II 1989, 182.
[11] Riedel, in: Daragan/Halaczinsky/Riedel, ErbStG und BewG, § 2 ErbStG Rn 7.
[13] Vgl. Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 2 Rn 17; Strunck/Kaminski, Stbg 2009, 158; Geck, ZEV 1995, 249, 250.
[14] BFH v. 23.11.1988 – II R 139/8,7 BStBl II 1989, 182.
[15] Vgl. FG Hamburg v. 15.4.1994 – V 61/92, EFG 1994, 730, rkr.
[17] Riedel, in: Da...

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