Rz. 184

I.R.d. Interessenabwägung ist zu prüfen, ob die betrieblichen Beeinträchtigungen aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles vom Arbeitgeber billigerweise noch hinzunehmen sind oder ob diese ihn überfordern (BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655). Dabei gibt es keine allgemeingültigen Maßstäbe hinsichtlich der zeitlichen, betrieblichen und/oder wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die der Arbeitgeber noch hinnehmen muss (BAG v. 23.6.1983 – 2 AZR 15/82, EzA § 1 KSchG Krankheit Rn 12).

 

Rz. 185

Bei der Interessenabwägung ist insb. zu berücksichtigen, ob die Erkrankung auf betrieblichen Ursachen beruht (BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 493/01, AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit) und ob bzw. wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist (BAG v. 15.2.1984 – 2 AZR 573/82, AP Nr. 14 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Ferner ist von Bedeutung, wie lange der erkrankte Arbeitnehmer bereits dem Betrieb angehört (BAG v. 15.2.1984 – 2 AZR 573/82, AP Nr. 14 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Auch Unterhaltspflichten (BAG v. 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit), das Alter und der Familienstand des Arbeitnehmers (BAG v. 10.5.1990 – 2 AZR 580/89, EzA KSchG § 1 Krankheit Rn 31) sowie eine ggf. bestehende Schwerbehinderung (BAG v. 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit) des Arbeitnehmers sind zu beachten. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt kann ebenfalls zugunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, wenn er – ggf. auch nach einer Umschulung – nur schwer einen neuen Arbeitsplatz finden wird (BAG v. 22.2.1980 – 2 AZR 295/78, EzA § 1 KSchG Krankheit Rn 5). Bei der Interessenabwägung ist zudem zu beachten, ob und inwieweit der Arbeitgeber aufgrund einer freien Unternehmerentscheidung (BAG v. 29.7.1993– 2 AZR 155/93, AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit) eine sog. Personalreserve vorhält (BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, EzA KSchG § 1 Krankheit Rn 52). Zugunsten des Arbeitgebers fällt ins Gewicht, wenn es trotz einer angemessenen Personalreserve durch unvorhersehbar viele Kurzerkrankungen zu betrieblichen Beeinträchtigungen kommt (BAG v. 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, AP Nr. 20 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

 

Rz. 186

Mögliche Überbrückungsmaßnahmen können jedoch vom Arbeitgeber unter Umständen billigerweise nicht mehr verlangt werden, wenn bei Ausspruch der Kündigung völlig ungewiss ist, wann und ob der Arbeitnehmer jemals wieder arbeiten kann und dem Arbeitgeber durch den längeren Ausfall ernsthafte betriebliche Schwierigkeiten entstehen. Deshalb ist im Fall der völligen Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitskraft in aller Regel ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen (BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, EzA SGB IX § 84 Rn 3). In dieser Hinsicht ist auch ohne Belang, dass die Erkrankung des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit der geleisteten Arbeit steht (BAG v. 19.4.2007 – 2 AZR 239/06, EzA KSchG § 1 Krankheit Rn 38). In einem solchen Fall kann nur bei Vorliegen einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers die Interessenabwägung zu dem Ergebnis führen, dass der Arbeitgeber trotz der erheblichen Störung des Arbeitsverhältnisses dessen Fortsetzung billigerweise weiter hinnehmen muss (BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 759/05).

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