Rz. 588

Gem. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG müssen die betriebsbedingten Gründe "dringend" sein. Mit dem Begriff "dringend" verweist § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip (BAG v. 18.1.1990, AP Nr. 27 zu § 2 KSchG; BAG v. 21.4.2005, AP Nr. 79 zu § 2 KSchG). Nach der Rspr. des BAG liegen dringende Gründe nur vor, wenn es dem Arbeitgeber unmöglich ist, die betriebliche Lage durch andere Maßnahmen auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet zu bewältigen, mithin keine milderen Mittel zur Verfügung stehen (BAG v. 17.10.1980, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 15; BAG v. 29.11.1990, RzK I 5a Nr. 4; BAG v. 21.4.2005, AP Nr. 79 zu § 2 KSchG).

 

Rz. 589

Vermindert sich der Beschäftigungsbedarf im Betrieb nicht, fehlt ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses (BAG v. 7.3.1996, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 84; BAG v. 2.6.2005, EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 63).

aa) Betriebsbegriff

 

Rz. 590

Das KSchG enthält ebenso wie das gesamte Kündigungsschutzgesetz keine eigenständige Definition des Betriebsbegriffs (BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, Rn 21). Es gilt daher grds. der allgemeine Betriebsbegriff, der im Wesentlichen demjenigen des § 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG entspricht (BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, Rn 21; BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 468/15, Rn 12; BAG v. 3.6.2004, NZA 2004, 1380; BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831). Ein Betrieb ist danach die organisatorische Einheit von Arbeitsmitteln, mit deren Hilfe der Arbeitgeber allein oder in Gemeinschaft mit seinen Arbeitnehmern unter Einsatz von technischen und immateriellen Mitteln einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung des Eigenbedarfs erschöpft (BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, Rn 21; BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, Rn 15; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 271/12, Rn 19; BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, Rn 18; BAG v. 21.6.1995 – 2 AZR 693/94, Rn 36; BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 355/89, DB 1991, 500).

 

Rz. 591

Im Bereich des öffentlichen Dienstes entspricht dem Betrieb die Dienststelle (BAG v. 17.5.1984, EZA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 32).

bb) Besonderheiten beim gemeinsamen Betrieb

 

Rz. 592

Unter Betrieb ist auch ein von verschiedenen Unternehmen gemeinsam geführter Betrieb zu verstehen. Ein solcher liegt vor, wenn sich die beteiligten Unternehmen zumindest stillschweigend über die einheitliche Leitung der organisatorischen Einheit, die zur Erfüllung der arbeitstechnischen Zwecke gebildet ist, rechtlich verbunden haben. Dieser einheitliche Leitungsapparat muss sich auf die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen in den sozialen und personellen Angelegenheiten erstrecken. Sie braucht nicht in einer einheitlichen vertraglichen Vereinbarung der beteiligten Unternehmen geregelt zu sein. Vielmehr genügt es, dass sich ihre Existenz aus den tatsächlichen Umständen herleiten lässt, etwa die Ausübung der Arbeitgeberfunktion von derselben institutionellen Leitung (BAG v. 13.6.1985, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG; BAG v. 18.10.2000, AP Nr. 49 zu § 15 KSchG). Eine solche Führungsvereinbarung ist allerdings noch nicht anzunehmen, wenn mehrere Unternehmen auf der Grundlage von Organ- oder Beherrschungsverträgen konzernrechtlich zusammenarbeiten (BAG v. 18.1.1990, AP Nr. 9 zu § 23 KSchG) oder die Holding-Gesellschaft aufgrund ihrer konzernrechtlichen Leitungsmacht in bestimmten Bereichen ggü. den zuständigen Organen der Tochtergesellschaften Anordnungen treffen kann (BAG v. 13.6.2002 – 2 AZR 327/01, NZA 2002, 1147).

 

Rz. 593

Führen mehrere Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb, ist vor der Kündigung eines in dem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmers unabhängig davon, mit welchem Betreiberunternehmen der Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag geschlossen hat, zu prüfen, ob in dem Gemeinschaftsbetrieb ein geeigneter freier Arbeitsplatz vorhanden ist, auf dem der Arbeitnehmer weiter beschäftigt werden könnte (BAG v. 13.6.1985, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG m. Anm. Wiedermann; BAG v. 5.5.1994, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl m. Anm. Mummenhoff; BAG v. 18.10.2000, AP Nr. 39 zu § 9 KSchG; BAG v. 22.9.2005, NZA 2006, 486).

 

Rz. 594

Der Arbeitgeber, bei dem der zur Kündigung vorgesehene Arbeitnehmer angestellt ist, hat zudem Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nicht nur in dem Gemeinschaftsbetrieb, sondern auch in weiteren Betrieben, die er ggf. führt, zu prüfen. Weitere Betriebe, die andere an dem Gemeinschaftsbetrieb beteiligte Unternehmen führen, bleiben dagegen unberücksichtigt, da insoweit eine arbeitsvertragliche Verbindung nicht besteht (APS/Kiel, § 1 KSchG Rn 85; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 741).

cc) Keine milderen Mittel

 

Rz. 595

Für die Frage, welche milderen Mittel konkret geeignet sind, eine betriebsbedingte Beendigungskündigung zu vermeiden, ist auf den jeweiligen Kündigungssachverhalt und den jeweils verfolgten unternehmerischen Zweck abzustellen. Sind bspw. auf den Jahresarbeitszeitkonten der Arbeitnehmer eines Betriebes in erheblichem Umfang Zeitguthaben entstanden, hat der Arbeitgeber grds. zunächst die Guthabenstunden...

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