Rz. 1239

Das BAG vertritt darüber hinaus zur dogmatischen Begründung des Wiedereinstellungsanspruches die Auffassung, dass sich der die negative Vertragsfreiheit des Arbeitgebers einschränkende Kontrahierungszwang als vertragliche Nebenpflicht aus dem noch fortbestehenden Arbeitsverhältnis ergebe (vgl. BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357). Zu den auf § 242 BGB beruhenden arbeitsvertraglichen Nebenpflichten gehöre auch die Pflicht, auf die berechtigten Interessen des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen. Der Arbeitnehmer habe auch nach Ausspruch einer rechtlich begründeten Kündigung regelmäßig noch ein Interesse daran, seinen Arbeitsplatz nicht mit Ablauf der Kündigungsfrist zu verlieren. Dieses Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes sei durch Art. 12 Abs. 1 GG nicht nur bis zum Ausspruch einer Kündigung, sondern auch danach bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschützt. Dem steht das durch Art. 2 Abs. 1 GG ebenfalls grundrechtlich geschützte Interesse des Arbeitgebers ggü., selbst zu entscheiden, ob und mit welchem Arbeitnehmer er einen Arbeitsvertrag schließen will.

 

Rz. 1240

Das BAG sieht darin das Problem der praktischen Konkordanz zweier kollidierender Grundrechtspositionen, welches durch eine an den konkreten Umständen orientierten Abwägung der beiderseitigen Interessen gelöst werden müsse (BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097, unter II B 2 der Gründe; ebenso Oetker, ZIP 2000, 646). In dem Bemühen um eine verfassungsrechtlich abgesicherte Begründung des Wiedereinstellungsanspruches greift das BAG die Rspr. des BVerfG zum Schutzumfang des Art. 12 Abs. 1 GG sowie zur Schutzgebotsfunktion der Grundrechte auf: Art. 12 Abs. 1 GG gewährleiste das Recht des Arbeitnehmers auf freie Wahl des Arbeitsplatzes, aber nicht als unbedingte Bestandsgarantie. Der Verlust des Arbeitsplatzes werde daher dem Arbeitnehmer regelmäßig auch durch die Verfassung zugemutet, wenn eine Kündigung den Erfordernissen des Kündigungsschutzrechtes standhalte. Der von den Grundrechten ausgehende Schutzauftrag beinhalte die Verpflichtung, den Arbeitnehmer in gewissen Grenzen vor einem Verlust des Arbeitsplatzes zu schützen. Die Schutzpflicht sei verletzt, wenn die Anwendung des staatlichen Arbeitsrechtes nicht einmal das Mindestmaß an Schutz gewähre, das bei Abwägung mit den kollidierenden Interessen des Gemeinwohls oder anderer Grundrechtsträger zu erwarten sei (BVerfG v. 13.1.1982 – 1 BvR 848/77, BVerfGE 59, 231).

 

Rz. 1241

Damit artikuliert das BAG den Gedanken des Übermaßverbots, der dazu zwinge, die Schutzpflichten des Arbeitgebers auch auf die Wiederbegründung des Arbeitsverhältnisses zu erstrecken, wenn sich die der betriebsbedingten Kündigung zugrunde liegende Vorstellung des Arbeitgebers über die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nachträglich als unzutreffend herausstellt.

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