Rz. 273

Der Verdacht einer Pflichtverletzung stellt gegenüber dem verhaltensbezogenen Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 20; BAG v. 18.6.2015 – 2 AZR 256/14, Rn 20). Der Verdacht kann eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers bedingen (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 20).

 

Rz. 274

Jedes Arbeitsverhältnis setzt als personenbezogenes Dauerschuldverhältnis ein gewisses gegenseitiges Vertrauen der Vertragspartner voraus (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 21; BAG v. 14.9.1994 – 2 AZR 164/94, zu II 3 c der Gründe, BAGE 78, 18). Ein schwerwiegender Verdacht einer Pflichtverletzung kann zum Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers und damit zu einem Eignungsmangel führen, der einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht (für eine ordentliche Kündigung vgl. BAG v. 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, Rn 34, BAGE 146, 303; für eine außerordentliche Kündigung vgl. BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 217/00, zu II 3 d der Gründe; BAG v. 14.9.1994 – 2 AZR 164/94, zu II 3 c der Gründe, BAGE 78, 18; siehe auch BVerfG v. 15.12.2008 – 1 BvR 347/08, zu II 1 a der Gründe, BVerfGK 14, 507). Der durch den Verdacht bedingte Eignungsmangel stellt einen Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers dar, auch wenn die den Verdacht und den daraus folgenden Vertrauensverlust begründenden Umstände nicht unmittelbar mit seiner Person zusammenhängen müssen (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 21).

 

Rz. 275

Eine Verdachtskündigung kommt nicht nur in einem Kleinbetrieb, in dem der einzelne Arbeitnehmer und sein Arbeitgeber oder dessen Repräsentant unmittelbar zusammenarbeiten, oder bei Arbeitnehmern in einer besonderen Vertrauensstellung in Betracht (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 22). Die Betriebsgröße oder die Unterscheidung zwischen einem "normalen" Arbeitsverhältnis und einem solchen mit besonderer Vertrauensstellung sind keine tauglichen Kriterien, um die grundsätzliche Zulässigkeit einer Verdachtskündigung zu beurteilen (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 22). Ein gewisses Vertrauen ist für die Durchführung jedes Arbeitsverhältnisses unerlässlich (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 22). Der Arbeitgeber muss sich darauf verlassen können, dass seine Mitarbeiter die Integrität seiner Rechtsgüter, die von anderen Arbeitnehmern oder ggf. von Dritten nicht vorsätzlich verletzen (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 22). Ein darüber hinausgehendes Maß an Vertrauen kann beispielsweise erforderlich sein, wenn ein Arbeitnehmer Kenntnis von Betriebsgeheimnissen erlangt, gefährliche Maschinen bedient, die auch Dritte gefährden können, oder Zugang zu Bargeldbeständen oder anderen Wertgegenständen hat (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 22). Eine solche besondere Vertrauensstellung ist aber keine zwingende Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 22). Vielmehr ist sie bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber im jeweiligen Einzelfall die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten ist, in die Interessenabwägung einzustellen (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 22; für die Verdachtskündigung eines Berufungsausbildungsvertrags vgl. BAG v. 12.2.2015 – 6 AZR 845/13, Rn 40 f., BAGE 151, 1).

 

Rz. 276

Eine Verdachtskündigung ist stets eine personenbedingte Kündigung (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 24). Sie wird nicht deshalb zu einer Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers, weil dieser die entscheidungserheblichen Verdachtsmomente selbst gesetzt hat (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 24). Ein Arbeitnehmer begeht nicht dadurch eine eigenständige Pflichtverletzung, dass er sich durch ein für sich genommen pflichtwidriges Verhalten einer weitergehenden, schwerer wiegenden Pflichtverletzung (nur) verdächtig macht (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 24). Ist z.B. der Arbeitnehmer – insoweit unstreitig – immer wieder in einem Bereich "herumgeschlichen", aus dem Gegenstände abhandengekommen sind, kann dies nur unter zwei Umständen eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen: Das Gericht muss entweder – auch – aufgrund des "Herumschleichens" davon überzeugt sein, der Arbeitnehmer habe die Gegenstände entwendet, oder das "Herumschleichen" muss als solches eine Pflichtverletzung darstellen, weil der Arbeitnehmer den betreffenden Bereich nicht betreten durfte (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 24). In beiden Fällen handelte es sich um Tatkündigungen. Stellt das "Herumschleichen" für sich genommen keine Pflichtverletzung dar und vermag sich das Gericht nicht davon zu überzeugen, der Arbeitnehmer sei der "Täter", kommt – unter den weiteren Voraussetzungen einer Verdachtskündigung – allenfalls eine personenbedingte Kündigung in Betracht (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, Rn 24).

 

Rz. 277

Die Verdachtskündigung ist begrifflich von der Tatkündigung abzugrenzen (BAG v. 3....

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