Rz. 141

In der dritten Prüfungsstufe ist zur Beurteilung der sozialen Berechtigung der Kündigung eine abschließende Interessenabwägung erforderlich. Dabei ist zu prüfen, ob die Beeinträchtigung der betrieblichen und/oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegen (BAG v. 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, EzA § 1 KSchG Krankheit Rn 47). Zu fragen ist, ob unter den gegebenen individuellen Gesamtumständen – etwa der Dauer der ungestörten Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers, seiner familiären Verhältnisse, früherer vergeblicher Versuche des Arbeitgebers, die Belastungen zu mildern etc. – dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers tatsächlich unzumutbar geworden ist.

 

Rz. 142

I.R.d. Interessenabwägung bei personenbedingten Kündigungsgründen ist zu beachten, dass eine personenbedingte Kündigung vom Arbeitnehmer regelmäßig nicht schuldhaft herbeigeführt wird. Sie beruht in den meisten Fällen auf einer mangelnden Eignung sowie auf krankheits- oder altersbedingten Leistungsschwächen des Arbeitnehmers. Infolgedessen besteht grds. ein höheres soziales Schutzbedürfnis für den Arbeitnehmer, als dies bei einem verhaltensbedingten Kündigungsgrund der Fall wäre, bei dem ihn ein Verschulden trifft (BAG v. 10.3.1977 – 2 AZR 79/76, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Daher müssen bei einer personenbedingten Kündigung die Arbeitnehmerinteressen ggü. den betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers besonders sorgfältig abgewogen werden (BAG v. 20.10.1954 – 1 AZR 193/54, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG; BAG v. 10.12.1956 – 2 AZR 288/54, AP Nr. 21 zu § 1 KSchG).

 

Rz. 143

Bei der Interessenabwägung sind zugunsten des Arbeitnehmers die allgemeinen sozialen Gesichtspunkte wie Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten zu berücksichtigen (Schaub/Linck, ArbRHB, § 131 Rn 10; KR/Griebeling § 1 KSchG Rn 275). Zudem ist eine ggf. bestehende besondere soziale Schutzbedürftigkeit, wie z.B. Krankheit oder Schwerbehinderung, zu berücksichtigen (BAG v. 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, EzA § 1 KSchG Krankheit Rn 47). Ist die mangelnde Leistungsfähigkeit auf betriebliche Ursachen zurückzuführen, erlangt dieser Umstand i.R.d. Interessenabwägung ein besonderes Gewicht (BAG v. 5.7.1990 – 2 AZR 154/90, NZA 1991, 185; BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 599/01, NZA 2003, 816). Das Gleiche gilt für eine altersbedingte Leistungsminderung (Schaub/Linck, ArbGHB, § 131 Rn 10; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 275).

 

Rz. 144

Zulasten des Arbeitnehmers ist zu berücksichtigen, wenn er den Fortfall seiner Eignung für die von ihm zu erbringende Arbeit schuldhaft herbeigeführt hat, bspw. wenn ein Berufskraftfahrer infolge einer privaten Trunkenheitsfahrt seinen Führerschein verliert (v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 285).

 

Rz. 145

Aufseiten des Arbeitgebers ist zu berücksichtigen, ob er die Beeinträchtigung seiner betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen mit anderen Mitteln rückgängig machen kann, bspw. durch eine Umorganisation (LAG Nds. v. 18.10.1995, LAGE § 1 KSchG, personenbedingte Kündigung Rn 13) oder Umgestaltung des Arbeitsplatzes, die Einstellung einer Aushilfskraft oder das Einleiten sonstiger Überbrückungsmaßnahmen (KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 276; Schaub/Link, ArbRHB, § 131 Rn 11). Falls nach § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG eine Weiterbeschäftigung nach Abschluss einer Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme möglich ist, erfordert dies einen freien Arbeitsplatz zum Zeitpunkt der Beendigung der Umschulungsmaßnahme (BAG v. 7.2.1991 – 2 AZR 205/90, NZA 1991, 806).

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