Rz. 784

Gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG kann auch die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur ein berechtigtes betriebliches Interesse darstellen, welches ein Abweichen von der Sozialauswahl rechtfertigt. Die Regelung dient jedoch nur dazu, eine bestimmte vorhandene Personalstruktur zu sichern, und nicht, diese erstmals herzustellen. Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit der Regelung des § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Letztere lässt es im Gegensatz zu § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG zu, dass eine bestimmte Personalstruktur nicht nur erhalten, sondern auch geschaffen wird. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG ermöglicht es dem Arbeitgeber damit – und über § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG oder § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO den Betriebsparteien –, bestimmte Arbeitnehmer im berechtigten betrieblichen Interesse von der Sozialauswahl auszunehmen (vgl. BT-Drucks 15/1204, 11). Danach ist es zulässig, dass der Arbeitgeber innerhalb des zur Sozialauswahl anstehenden Personenkreises Altersgruppen nach sachlichen Kriterien bildet, die prozentuale Verteilung auf die Altersgruppen feststellt und die Gesamtzahl der auszusprechenden Kündigungen diesem Proporz entsprechend auf die einzelnen Altersgruppen verteilt (BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, Rn 49). Folge ist, dass sich die Sozialauswahl i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG nur in den Gruppen vollzieht und sich der Anstieg des Lebensalters lediglich innerhalb der jeweiligen Altersgruppe auswirkt (BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, Rn 49). Dies kann dazu führen, dass das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, der aufgrund seines höheren Lebensalters in eine höhere Altersgruppe fällt, zu kündigen ist, während ein jüngerer Arbeitnehmer mit im Übrigen gleichen Sozialdaten allein durch die Zuordnung zu einer anderen Altersgruppe seinen Arbeitsplatz behält (BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, Rn 49; BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, Rn 60; BAGE 140, 169; BAG v. 28.6.2012 – 6 AZR 682/10, Rn 30; Krieger/Reinecke, DB 2013, 1906, 1910). Ein berechtigtes betriebliches Interesse ist nur anzunehmen, wenn die im konkreten Fall vorgenommene Altersgruppenbildung tatsächlich geeignet ist, eine ausgewogene Personalstruktur zu sichern (BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, Rn 49; BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, Rn 26; BAG v. 22.3.2012 – 2 AZR 167/11, Rn 29).

 

Rz. 785

Von einer Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG wird man nur sprechen können, wenn eine größere Zahl von Entlassungen im Raum steht (APS/Kiel, § 1 KSchG Rn 772; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn 1141). So hat das BAG ausgeführt, dass ein berechtigtes betriebliches Bedürfnis i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG an der Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur insb. dann vorliegen könne, wenn bei einer Massenentlassung die Gefahr besteht, dass es durch eine Auswahl allein nach sozialen Gesichtspunkten zu erheblichen Verschiebungen in der Altersstruktur des Betriebes kommt, die im betrieblichen Interesse nicht hinnehmbar sind (BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 442/05, NZA 2007, 139). Jedenfalls dann, wenn die Zahl der Kündigungen in einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer im Verhältnis zur Zahl aller Arbeitnehmer des Betriebs die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreiche, kämen dem Arbeitgeber Erleichterungen zugute (BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, Rn 54; BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, Rn 28). In diesem Fall sei ein berechtigtes betriebliches Interesse an der Beibehaltung der Altersstruktur – widerlegbar – indiziert (BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, Rn 54; BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, Rn 28; BAG v. 22.3.2012 – 2 AZR 167/11, Rn 30; BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, Rn 65, BAGE 140, 169; BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, Rn 54, BAGE 128, 238). Eine solche Indizwirkung besteht hingegen nicht, wenn der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KSchG zwar hinsichtlich der insgesamt zu entlassenden Arbeitnehmer überschritten wird, die Zahl der Arbeitsverhältnisse, die in der jeweiligen Vergleichsgruppe zu kündigen sind, den Schwellenwert des § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KSchG aber bei Weitem nicht erreicht (BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, Rn 55). Ob die Darlegung des berechtigten betrieblichen Interesses an einer Altersgruppenbildung i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG auch dann zu erleichtern sei, wenn einer der Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG nur im Gesamtbetrieb, aber nicht in der Vergleichsgruppe erreicht ist, hat das BAG offengelassen (BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, Rn 56).

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