Rz. 61

Haben die Eheleute schon seit über einem Jahr keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr in demselben Land oder sind sie nach der Trennung beide in verschiedene Länder verzogen, so dass sich keiner mehr in dem Land aufhält, in dem sie sich früher beide gewöhnlich aufgehalten haben, ist das Recht des Staates anzuwenden, dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts besitzen (Art. 8 Buchst. c VO 1259/2010).

 

Rz. 62

 

Beispiel

Haben im Beispiel Rdn 58 sich die beiden Eheleute im März 2014 getrennt und ist M mit seiner neuen Lebensgefährtin nach Schweden verzogen, während F mit den Kindern nach Hamburg gezogen ist, dann ist Art. 8 Buchst. b ebenfalls nicht mehr anwendbar. Das anzuwendende Recht richtet sich nach Art. 8 Buchst. c VO 1259/2010. Da beide Ehegatten Deutsche sind, ist auch auf den Versorgungsausgleich deutsches Recht anzuwenden und dieser somit nach Art. 17 Abs. 3 Satz 1 EGBGB von Amts wegen durchzuführen.

 

Rz. 63

Haben Eheleute mehrere Staatsangehörigkeiten, kommt es grds. nur darauf an, welche Staatsangehörigkeit gemeinsam vorliegt. Ob diese die effektive (d.h. die gelebte) Staatsangehörigkeit ist, ist grds. irrelevant.

 

Rz. 64

 

Beispiel

M und F leben in Deutschland. M ist Franzose, F hat die österreichische und die französische Staatsangehörigkeit. Sie fühlt sich als Österreicherin und lebt diese Staatsangehörigkeit in ihrem Alltagsleben. Nach der VO 1259/2010 würde auf die Scheidung trotzdem französisches Recht angewendet, weil diese Staatsangehörigkeit mit derjenigen ihres Mannes übereinstimmt. Auf die Scheidung würde deswegen französisches Recht angewendet werden. Deshalb würde in diesem Fall ein Versorgungsausgleich von Amts wegen nicht durchgeführt werden. Jeder Ehegatte hätte aber die Möglichkeit, unter den Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB einen Versorgungsausgleich nach deutschem Recht zu beantragen.

 

Rz. 65

Zweifelhaft ist, wie zu verfahren ist, wenn die Eheleute mehrere gemeinsame Staatsangehörigkeiten haben. Die VO 1259/2010 enthält für diesen, gar nicht so seltenen Fall keine Regelung. Das ist besonders in denjenigen Fällen problematisch, in denen einzelne der betroffenen Staaten einen Versorgungsausgleich kennen und andere nicht. Im Einklang mit den allgemeinen Prinzipien des Internationalen Privatrechts dürfte deswegen auf die gelebte, die effektive Staatsangehörigkeit abzustellen sein. Nicht anwendbar ist Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB (vgl. Rdn 67). Vertretbar erscheint es aber auch, einen Vorrang des Rechts anzunehmen, nach dem von Amts wegen ein Versorgungsausgleich durchzuführen wäre. Das wäre in jedem Fall, in dem eines der in Betracht kommenden Rechte das deutsche Recht ist, das deutsche Recht, weil nur bei Anwendung des deutschen Rechts nach Art. 17 Abs. 3 Satz 1 EGBGB ein Versorgungsausgleich von Amts wegen durchgeführt werden kann. Damit bliebe es bei gemeinsamen Mehrfachstaatsbürgerschaften beim Prinzip der Anwendung des Rechts der gemeinsamen effektiven Staatsbürgerschaft, während es in den Fällen, in denen eine der Staatsbürgerschaften zum deutschen Recht führt, zur Anwendung des deutschen Rechts kommt, weil dieses zu einem Versorgungsausgleich von Amts wegen führt.

 

Rz. 66

 

Beispiel

M und F sind Deutschtürken und besitzen beide Staatsangehörigkeiten. In diesem Fall sind die Voraussetzungen des Art. 8 Buchst. c VO 1259/2010 doppelt erfüllt. Begründen lässt sich sowohl die Anwendung deutschen wie die Anwendung des türkischen Rechts. Teilt man die Ansicht, dass das Recht vorgeht, das zu einem Versorgungsausgleich von Amts wegen führt, dann ist auf den Versorgungsausgleich in diesem Fall deutsches Recht anzuwenden. Teilt man diese Ansicht nicht, dann richtet sich der Versorgungsausgleich in diesem Fall nach demjenigen Recht, nach dem die beiden Ehegatten leben. Sollten das verschiedene sein – ein Partner fühlt sich als Türke, der andere als Deutscher –, dann ist für die Anwendung von Art. 8 Buchst. c VO 1259/2010 kein Raum. Anzuwenden ist dann Art. 8 Buchst. d VO 1259/2010.

 

Rz. 67

Auch die Regelung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB, dass, dann wenn eine Person auch Deutscher ist, diese Rechtsstellung vorgeht und sie wird immer nur als Deutscher behandelt wird, ist im Rahmen der VO 1259/2010 nicht anwendbar, weil das deutsche Recht als nachgeordnetes nationales Recht die Anknüpfungsregeln der EU-Verordnung nicht verändern kann. Insoweit hat sich die Rechtslage gegenüber dem früher geltenden Rechtszustand[26] verändert.

 

Rz. 68

 

Beispiel

Die in Deutschland lebende Deutsch-Französin F und ihr Mann, der Franzose M, wollen sich scheiden lassen. Scheidungsstatut ist in diesem Fall das französische Recht. Beide Ehegatten haben die gleiche Staatsangehörigkeit, nämlich die französische. Dass F auch Deutsche ist, ist nach dem heute geltenden Recht nicht mehr von Bedeutung. Das fördert den internationalen Entscheidungseinklang.

[26] Siehe dazu die Vorauflage, Teil 2 Rn 40 f.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge