Rz. 39

Als Neuerung lässt die VO 1259/2010 zum ersten Mal in ihrem Art. 5 für das auf die Scheidung anzuwendende Recht eine Rechtswahl zu, beschränkt aber die wählbaren Rechte auf einige wenige. Über Art. 17 Abs. 3 EGBGB bestimmt diese Rechtswahl dann auch das auf den Versorgungsausgleich anzuwendende Recht.

 

Rz. 40

Gewählt werden können:

das Recht des Staates, in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (Art. 5 Buchst. a VO 1259/2010), oder
das Recht des Staates, in dem die Ehegatten zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen zum Zeitpunkt der Rechtswahl dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 5 Buchst. b VO 1259/2010), oder
das Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl besitzt (Art. 5 Buchst. c VO 1259/2010), oder
das Recht des Staates des angerufenen Gerichts (Art. 5 Buchst. d VO 1259/2010).
 

Rz. 41

Die wählbaren Rechte sind gleichrangig. Die Ehegatten können sich also von den in Betracht kommenden Rechten eines aussuchen. Bei der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt kommt es darauf an, wo der Schwerpunkt der familiären, sozialen und beruflichen Beziehungen liegt. Es kommt also auf den dauerhaften oder zumindest als dauerhaft geplanten Lebensmittelpunkt an. Dieser kann ggf. sehr schwer zu ermitteln sein, wenn die unterschiedlichen Beziehungen in verschiedene Länder verweisen (siehe dazu unten, Rdn 51 ff.). Einen Mangel der Regelung bildet es, dass nicht das Recht eines künftigen gewöhnlichen Aufenthaltes gewählt werden kann – und zwar selbst dann nicht, wenn die Ehegatten wissen, dass sie sich dort demnächst gewöhnlich aufhalten werden. Die Rechtswahl wird auch nicht dadurch wirksam, dass die dort dann ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründen (dann greift aber – zumindest solange dieser gewöhnliche Aufenthalt besteht – die Aufenthaltsanknüpfung des Art. 8 Buchst. a VO 1259/2010 ein).

 

Rz. 42

Kommt es auf die Staatsangehörigkeit an und besitzt ein Ehegatte mehrere Staatsangehörigkeiten, kann jedes der Rechte gewählt werden, deren Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten besitzt. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB, der einen Vorrang der deutschen Staatsangehörigkeit vor anderen Staatsangehörigkeiten statuiert, gilt nicht, denn der deutsche Gesetzgeber kann nicht in den Regelungsgehalt einer europäischen Rechtsnorm eingreifen. Ebenso wenig ist die Wahl auf die effektive (die gelebte) Staatsangehörigkeit der Ehegatten beschränkt.

 

Rz. 43

 

Beispiel

Der Deutschtürke M und die Franko-Russin F, die auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, wollen sich in Frankfurt scheiden lassen, wo sie die letzten zehn Jahre gelebt haben. Sie können sowohl das deutsche, das türkische als auch das russische Recht oder das französische Recht als für die Scheidung maßgebendes Recht vereinbaren. Das deutsche Recht genießt keinen Vorrang. Wählen sie eines der Rechte, die nicht das deutsche Recht sind, ist der Versorgungsausgleich von Amts wegen ausgeschlossen, weil auf die Scheidung nicht mehr das sonst anwendbare deutsche Aufenthaltsrecht (vgl. Art. 8 Buchst. a VO 1259/2010, Rdn 51 ff.) anzuwenden ist. Unter den Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB (siehe unten Rdn 92 ff.) kann aber jeder Ehegatten beantragen, dass ein Versorgungsausgleich durchgeführt wird.

 

Rz. 44

Kommt es auf das Recht des Staates des angerufenen Gerichts an (Art. 5 Buchst. d VO 1259/2010), richtet sich die Frage des anwendbaren Rechts nach der gerichtlichen Zuständigkeit. Für diese ist grds. § 102 FamFG maßgeblich. Soweit der Versorgungsausgleich aber im Zusammenhang mit einer Scheidung geltend gemacht wird, steht er im Verhandlungs- und Entscheidungsverbund mit dieser (§ 137 Abs. 2 Nr. 1 FamFG), so dass auch die Zuständigkeit für diese Sache sich nach der Zuständigkeit des Gerichts der Ehesache bestimmt (§ 98 Abs. 2 FamFG,[23] Gedanke des § 218 Nr. FamFG 1). In diesen Fällen bestimmt sich das für den Versorgungsausgleich wählbare Recht deswegen i.d.R. nach der VO 2201/2003 ("Brüssel IIa").

 

Rz. 45

Die Rechtswahl wird in Deutschland durch notariell beurkundete Vereinbarung getroffen (Art. 46d Abs. 1 EGBGB). Die Aufnahme in ein gerichtliches Protokoll wahrt die Form (Art. 46d Abs. 2 Satz 2 EGBGB). Die Rechtswahl kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug vorgenommen werden (Art. 46d Abs. 2 Satz 1 EGBGB). Mit diesen Bestimmungen hat Deutschland von den Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht, welche in Art. 7 Abs. 2 VO 1259/2010 den teilnehmenden Mitgliedstaaten lässt. Die deutschen Regeln gelten, wenn beide Ehegatten sich zur Zeit der Rechtswahl in Deutschland gewöhnlich aufhalten. An sich bedarf die Rechtswahlvereinbarung nach Art. 5 Abs. 1 und 2 nur der Schriftform, der Datierung sowie der Unterzeichnung durch beide Ehegatten, wobei aber schon elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, die Schriftform erfüllen (Art. 7 Abs. 1 VO 1259/2010). Halten ...

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