Rz. 56

Diskutiert wird in der Rechtsprechung inzwischen die Frage, ob die systembedingt nicht mögliche nachträgliche Überprüfbarkeit einer Geschwindigkeitsmessung, wie es z.B. bei ESO ES 3.0 der Fall ist, der Verwertbarkeit des Messergebnisses grds. entgegensteht. Das ist – in der Vergangenheit – von einigen AG bejaht worden (vgl. u.a. AG Heidelberg, zfs 2018, 412; AG Herford, DAR 2013, 399; Beschl. v. 30.1.2013 – 11 OWi 502 Js 2894/12–1025712; AG Hildesheim, Beschl. v. 20.11.2015 – 112 OWi 35 Js 26360/15; AG Groß-Gerau, DAR 2012, 406; AG Landstuhl, VRR 2012, 273 = VA 2012, 136 = zfs 2012, 408; AG Kaiserslautern, zfs 2012, 407, AG Kempten, VA 2013, 140; AG Meiningen, Beschl. v. 15.3.2021 – OWi 313 Js 24238/20, DAR 2021, 579; AG Meißen, DAR 2015, 711; AG Neunkirchen, Beschl. v. 15.5.2017 – 19 OWi 534/16; AG Schwerte, zfs 2012, 533 = VRR 2012, 354 = VA 2012, 157; AG Stralsund, VRR 1/2017, 20 = VA 2017, 31; auch noch AG Aachen, VRR 2013, 113 = VA 2013, 68 = DAR 2013, 218; AG Berlin-Tiergarten, Urt. v. 13.6.2013 – (318 OWi) 3034 Js-OWi 489/13 [86/13]). Sie haben deshalb die Betroffenen frei gesprochen (AG Berlin-Tiergarten, AG Groß-Gerau, AG Herford, AG Landstuhl, AG Kaiserslautern, AG Kempten, AG Meißen jeweils a.a.O.) bzw. die Messung nur mit einem erhöhten Sicherheitsabschlag verwertet (AG Schwerte, a.a.O.). Das AG Meiningen (a.a.O.) hat das Bußgeldverfahren eingestellt (dazu Staub, DAR 2021, 596).

 

Rz. 57

Die obergerichtliche Rechtsprechung sieht das aber anders (s.u.a. OLG Bamberg, DAR 2016, 337 = VA 2016, 104; OLG Braunschweig VM 2014 Nr. 29; Beschl. v. 13.6.2017 – 1 Ss (OWi) 115/17; OLG Celle, Beschl. v. 17.5.2017 – 2 Ss OWi 93/17; OLG Dresden zfs 2016, 290; Beschl. v. 9.11.2020 – OLG 23 Ss 620/20 (Z); OLG Frankfurt am Main, NStZ-RR 2013, 223 = StRR 2013, 230 = VRR 2013, 231; Beschl. v. 14.6.2022 – 3 Ss-OWi 476/22; OLG Hamm, VRR 2013, 194 m. abl. Anm. Burhoff = NStZ-RR 2013, 213 [Ls.]; OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.5.2018 – 4 Rb 16 Ss 380/18; OLG Zweibrücken, zfs 2012, 51 = DAR 2013, 38 = VRR 2013, 36 = VA 2013, 10 = StRR 2013, 37; Beschl. v. 15.4.2013 – 1 SsBs 14/12; s.a. AG Neuruppin, Urt. v. 5.7.2017 – 82.1 OWi 223/17 und AG St. Ingbert, Urt. v. 13.1.2022 – 25 OWi 68 Js 1597/21 (2518/21); aus der Literatur Cierniak, zfs 2012, 664, 667; nicht eindeutig Krumm, s. einerseits Krumm, Rn 359; andererseits aber NZV 2012, 318; zust. König, DAR 2016, 362, 370). Sie verweist – insbesondere auch im Zusammenhang mit der Frage der Erforderlichkeit zusätzlicher Beweiserhebungen und der Ablehnung darauf gestützter Beweisanträge (vgl. insbesondere OLG Bamberg, a.a.O.) – dazu darauf, dass es sich um standardisierte Messverfahren handelt (OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Frankfurt am Main, OLG Hamm, a.a.O.; OLG Zweibrücken, a.a.O.; s.a. die bei Rdn 51 zitierte Rechtsprechung, zur Auswertung der Rohmessdaten bei ES 3.0. § 1 Rdn 1099 ff.).

 

Rz. 58

Dazu ist anzumerken, dass die AG-Entscheidungen m.E. z.T. deshalb zu kritisieren sind, weil die AG nicht eine weitere Aufklärung (§ 244 StPO) zu den angewendeten Messverfahren zumindest versucht haben (dazu meine Anmerkungen zu AG Landstuhl, VRR 2012, 273 = VA 2012, 136 = zfs 2012, 408 und AG Schwerte, zfs 2012, 533 = VRR 2012, 354 = VA 2012, 157; zustimmend Cierniak, zfs 2012, 664, 667; auch OLG Jena, NJW 2016, 1457 m. zust. Anm. Leitmeier = VA 2016, 88 = NStZ-RR 2016, 186 = DAR 2016, 399). Die Diskussion muss dann darüber hinaus (von den OLG) an einem anderen Punkt weiter geführt werden, nämlich an der Stelle der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 261 StPO). Davon, sich eine eigene Überzeugung von der Ordnungsgemäßheit einer Messung zu bilden, enthebt der Umstand, dass es sich um ein standardisiertes Messverfahren handelt, den Tatrichter nicht (auch AG Aachen, VRR 2013, 113 = VA 2013, 68 = DAR 2013, 218; AG Berlin-Tiergarten, Urt. v. 13.6.2013 – [318 OWi] 3034 Js-OWi 489/13 [86/13]; AG Kempten, VA 2013, 140). Das wird auch so von Cierniak (zfs 2012, 664, 677) gesehen, der dazu ausführt:

Zitat

"Auf das Wesen eines standardisierten Messverfahrens kann er sich nicht zurückziehen, regelmäßig schon deswegen nicht, weil er im konkreten Fall Anlass gesehen hat, eine sachverständige Überprüfung anzuordnen. Darüber hinaus kann das Gericht dann, wenn der gerichtlich beauftragte Sachverständige nicht feststellen kann, ob die Messung ordnungsgemäß gewesen ist, wohl schon nicht von einem standardisierten Messverfahren ausgehen."

(vgl. a. noch OLG Oldenburg, DAR 2015, 406 m. Anm. Deutscher = StRR 2015, 274; OLG Zweibrücken, zfs 2012, 51 = DAR 2013, 38 = VRR 2013, 36 = VA 2013, 10 = StRR 2013, 37; Cierniak/Niehaus, DAR 2018, 541 ff.; VerfG Saarland, NZV 2019, 414 m. krit. Anm. Krenberger = VRR 8/2019, 11 m. zust. Anm. Deutscher). Wenn der Tatrichter sich aber nicht in der Lage sieht, sich eine eigene Überzeugung zu bilden und alle Möglichkeiten dazu ausgeschöpft sind, dann bleibt ihm letztlich keine andere Möglichkeit, als den Betroffenen frei zu sprechen. Das Abstellen auf den Begriff des "standardisier...

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