Rz. 351

Geht man von dem als absolutes Recht ausgestaltetem Urheberrecht als individuelles Recht der Einwilligung und des Verbotes aus, so verträgt sich hiermit nicht die Realität massenhafter Nutzungsvorgänge, etwa beim Mieten von Büchern oder gar im Aufführen oder Senden von Musikwerken. Um der Durchsetzung dieser Ansprüche gerecht zu werden, gab es in Europa, zunächst in Frankreich, dann aber auch in Deutschland, Verwertungsgesellschaften.[481] Inhaltlich geht es um kollektives Urhebervertragsrecht.[482] Gesetzliche Grundlage für die Betätigung der nachfolgend zu behandelnden Verwertungsgesellschaften ist das Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten durch Verwertungsgesellschaften (Verwertungsgesellschaftengesetz).[483]

 

Rz. 352

Durch die Richtlinie (RL) 2014/26/EU vom 26.2.2014,[484] die bis zum 10.4.2016 in nationales Recht umgesetzt werden musste, war auch Deutschland gezwungen, das ehemalige Urheberechtswahrnehmungsgesetz der "Organisationen(en) für kollektive Rechtewahrnehmung" (Art. 3 lit. a) der genannten Richtlinie im Hinblick auf die Organisation (Art. 4 RL) sowie für die Ermöglichung von Mehrgebietslizenzen für Online-Rechte an Musikwerken (wohl auch für verwandte Schutzrechte, obwohl in Art. 23 RL nicht ausdrücklich aufgeführt) anzupassen.[485]

 

Rz. 353

Die Bedeutung der Verwertungsgesellschaften nimmt ständig zu. Zusammen mit den aufgrund von so genannten Gegenseitigkeitsverträgen verbundenen Partnerverwertungsgesellschaften im Ausland wird quasi ein weltweit flächendeckendes System von kollektiven Nutzungsverträgen geschaffen. Zahlreiche Ansprüche der Urheber können überhaupt nur noch durch Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden, wie etwa

das Recht der Kabelweitersendung (§ 20b Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 3 UrhG),
das Folgerecht (§ 26 Abs. 5 UrhG),
der Vergütungsanspruch für Vermietung und Verleihen (§ 27 Abs. 3 UrhG),
der Vergütungsanspruch durch die Vervielfältigung und Verbreitung eines Werkes an behinderte Menschen (§ 45a Abs. 2 S. 2 UrhG),
der Vergütungsanspruch für die öffentliche Zugänglichmachung bestimmter Materialien für Unterricht und Forschung, öffentliche Bibliotheken und Einrichtungen des kulturellen Erbes (§ 60h Abs. 4 UrhG) und
die Vergütungsansprüche gegen Hersteller von bestimmten Geräten (§ 54h Abs. 1 UrhG).
 

Rz. 354

Da die Verwertungsgesellschaften bis auf den Bereich der Filmverwertung eine faktische Monopolstellung einnehmen, ist auch europäisches Kartellrecht zu beachten. Der EuGH[486] hat entschieden, dass wenn die Tarife einer monopolistisch agierenden Verwertungsgesellschaft erheblich höher sind als die in den übrigen Mitgliedstaaten angewandten Tarife, dies für einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung spreche (Art. 102 AEUV). Dagegen verstoßen territorial begrenzte Gegenseitigkeitsverträge von Verwertungsgesellschaften trotz ihrer marktaufteilenden Wirkung grds. nicht gegen das Kartellverbot des Art. 101 AEUV, weil durch die Nutzung der Verwaltungsstrukturen der Schwestergesellschaften die Urheberrechte wirksam im EU-Ausland durchgesetzt werden können.[487]

 

Rz. 355

Hinzu kommen noch zahlreiche Vergütungsansprüche, die sich die Verwertungsgesellschaften üblicherweise abtreten lassen, wie etwa die aus der Vervielfältigung (Kopienversand durch öffentliche Bibliotheken),[488] aus der Vergütung von (elektronischen) Pressespiegeln (§ 49 Abs. 1 S. 2 UrhG)[489] oder von Veranstaltungen, die keinem Erwerbszweck dienen (§ 52 Abs. 1 S. 1 UrhG). Schließlich ist noch der seit dem 1.7.2002 geltende § 63a UrhG zu erwähnen, der bestimmt, dass die gesetzlichen Vergütungsansprüche der Schrankenbestimmungen im Voraus nur an eine Verwertungsgesellschaft abgetreten werden dürfen. Diese Machtansammlung wird verständlicherweise kritisch beobachtet, da Verwertungsgesellschaften, zumal eine in der Größe der GEMA mit etwa 1000 Beschäftigten, nicht unbedingt zielgenau die tatsächlichen Nutzungen erfassen und dem Urheber zukommen lassen können.

 

Rz. 356

Inzwischen sind in Deutschland 13 Verwertungsgesellschaften tätig:

die GEMA für Komponisten, Textdichter und Musikverleger;[490]
die VG TWF (Verwertungsgesellschaft Treuhandgesellschaft Werbefilm GmbH für Werbefilmproduzenten);[491]
die VG Wort[492] für Wortautoren und Verleger (diese Gesellschaft ist seit 1978 mit der VG Wissenschaft vereint);
die GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten) für ausübende Künstler, Veranstalter, Bild- und Tonträgerhersteller und Hersteller von Videoclips;[493]
die VG Bild-Kunst für Urheber von Werken der bildenden Kunst, Lichtbildwerken, Filmwerken, Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art, Lichtbildner, Filmhersteller, Verleger, Bildagenturen, Verleiher und Vertriebsfirmen (§ 2 Abs. 1 Nr. 4–7 UrhG);[494]
die VG zur Wahrnehmung von Nutzungsrechten an Editionen von Musikwerken (VG Musikedition)[495] für Verfasser, Herausgeber und Verleger wissenschaftlicher Ausgaben von Musikwerken und nachgelassener Musikwerke (§§ 70, ...

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