Rz. 60

Ob der Nachlasspfleger im Nachlass vorgefundene Wertpapiere (Aktien, Investmentanteile) auf Depotkonten veräußern muss, um den Erlös einer festverzinslichen und mündelsicheren Anlage zuzuführen, ist streitig. Wenn der Erlös zur Zahlung von Verbindlichkeiten benötigt wird und keine anderen Mittel zur Verfügung stehen, kann unstreitig ein Verkauf erfolgen. Soweit dies nicht der Fall ist, wird vertreten, dass die vom Erblasser herrührende Art und Streuung der Geldanlage vom Nachlasspfleger zu respektieren ist und nicht geändert werden darf.[61] Vorzuziehen ist aber Folgendes: Das Gesetz verpflichtet den Nachlasspfleger zwar in §§ 1806, 1807 BGB, Geld verzinslich und mündelsicher anzulegen. Es trifft aber keine Aussage zu der Frage, ob er die vom Erblasser gewählte Anlagestruktur des Vermögens beibehalten kann, oder ob er sämtliches Vermögen in mündelsichere Anlagen umzuwandeln, also z.B. vorgefundene Wertpapiere zu veräußern, hat. Die Rechtsprechung lehnt zwar eine solche grundsätzliche Verpflichtung zur Umschichtung in mündelsicheres Vermögen ab,[62] entbindet den Nachlasspfleger aber nicht davon zu prüfen, ob eine Umwandlung zur Vermeidung von Anlagerisiken geboten ist.[63] Maßstab sollen hierbei die allgemeinen Regeln effektiver Vermögensverwaltung sein.[64]

 

Rz. 61

Unterlässt der Nachlasspfleger diese Prüfung oder wendet er hierbei nicht die erforderliche Sorgfalt an, muss er nach § 1833 Abs. 1 BGB eine Haftung für entstehende Verluste fürchten. Insofern empfiehlt sich, dass der Nachlasspfleger bei vorgefundenem komplexen Anlagenvermögen durch die Vermögensberatung seiner Hausbank eine Risikobewertung der Anlage vornehmen lässt und Werte im Zweifel in eine mündelsichere Anlage überführt.[65]

 

Rz. 62

Den Verkauf von Wertpapieren muss sich der Nachlasspfleger jedenfalls nachlassgerichtlich genehmigen lassen (§ 1812 BGB). Die Annahme des Verkaufserlöses bedarf ebenfalls der Genehmigung, soweit der Betrag 3.000 EUR übersteigt.[66] Auch ein Verfahrenspfleger ist zu beteiligen.[67] Zum Wertpapierbegriff ist darauf hinzuweisen, dass im modernen Wertpapierhandel Urkunden in der Regel nicht mehr gegeben werden. Die Emission von Wertpapieren erfolgt über Globalurkunden nach § 9a DepotG, die durch Wertpapiersammelbanken (Clearingbanken) verwaltet werden. Der Anleger erwirbt die Wertpapiere über seine Hausbank, die in Vollmacht ihres Kunden bzw. im Rahmen eines Kommissionsgeschäfts (§§ 383 ff. HGB) tätig wird. Die Verwaltung erfolgt in einem Depotkonto, das die Bank für den Anleger führt und über das sie An- und Verkäufe bucht und Dividenden abwickelt.[68]

 

Rz. 63

Behält der Nachlasspfleger einzelne oder alle vorgefundenen Wertpapiere nach der Risikoanalyse zunächst im Depot, kann sich die Risikobeurteilung bei einzelnen Werten oder bezogen auf das Gesamtdepot bei einer Finanzkrise zukünftig jederzeit und kurzfristig ändern. Bis eine rechtskräftige Genehmigung des Nachlassgerichts unter Beteiligung eines Verfahrenspflegers vorliegt, können mitunter Wochen vergehen und erhebliche Kursverluste entstehen.[69] Hier besteht ein Haftungsrisiko des Nachlasspflegers, das durch die vorsorgliche Einholung einer sog. Stop-Loss-Genehmigung (Genehmigung für den Fall, dass ein bestimmter Kurs unterschritten wird) verringert werden kann.[70] Rechtlich handelt es sich nicht um eine bedingte Genehmigung, sondern um eine Genehmigung, das Wertpapier zu einem vorher bestimmten Kurs zu veräußern.

[61] So Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rn 366.
[62] KG v. 20.5.1968 – 1 W 1274/68, NJW 1968, 1836 = Rpfleger 68, 357.
[63] Vgl. Schulz, Hereditare 4 (2014), 61, 68.
[64] Vgl. RG v. 29.9.1932 – IV 31/32, RGZ 137, 320 (323).
[65] Der (genehmigungsfreie) Verkauf vorgefundener Edelmetalle soll aber per se pflichtwidrig sein, so Zimmermann, ZErb 2010, 278, 280. Dies ist abzulehnen. Auch hier reicht eine negative Risikobewertung der Hausbank zur Begründung des Verkaufs.
[66] Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rn 357.
[67] Vgl. zur Erforderlichkeit eine Verfahrenspflegers eingehend: Jochum/Pohl, 1158 ff.
[68] NK-BGB/Fritsche, § 1807 Rn 7.
[69] Vgl. OLG München v. 22.12.2011 – 1 U 5388/10, BeckRS 2011, 29822 (mehr als drei Monate Genehmigungsverfahren; Staatshaftung wurde dennoch abgelehnt).
[70] Muster bei Schulz, in: Fischer /Kühne /Wahrlich, § 11 Rn 61.

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