Rz. 596

Die Kostenersatzpflicht des Erben des Ehegatten/des Lebenspartners entsteht, wenn dieser

vor dem Leistungsberechtigten stirbt und
der Leistungsberechtigte nicht sein Erbe wird (§ 102 Abs. 1 S. 4 SGB XII).

Diese Regelung produziert Ergebnisse, die z.T. beliebig wirken.

 

Rz. 597

 

Fallbeispiel 45: Die Erben der hälftigen Miteigentümer

Die Ehegatten M und F sind hälftige Miteigentümer eines Wohnhauses, das der Ehemann M bis zu seinem Tod bewohnt. Die Ehefrau F ist in einem Pflegeheim untergebracht. Die Kosten für die Unterbringung muss der Sozialhilfeträger mangels eigenen Einkommens bzw. verwertbaren Vermögens (§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII) beider Ehegatten übernehmen.

1. Alternative: M stirbt zuerst und F ist Alleinerbin. Es gibt keine Abkömmlinge.

2. Alternative: M stirbt zuerst. Seine Kinder aus erster Ehe erben aufgrund Erbeinsetzung. F ist enterbt.

3. Alternative: F stirbt zuerst. M ist Alleinerbe. Es gibt keine Abkömmlinge.

4. Alternative: F stirbt zuerst. Ihre Kinder aus erster Ehe erben aufgrund Erbeinsetzung. M ist enterbt.

 

Rz. 598

Falllösung Fallbeispiel 45:

1. Alternative: Stirbt der Ehemann M zuerst und wird die Leistungsberechtigte F seine Erbin, so ist dies kein Fall der sozialhilferechtlichen Erbenhaftung. Der leistungsberechtigten Ehefrau F fließt aus dem Erbe ihres Ehemannes M Einkommen[982] zu, das sie fortan vorrangig für die eigene Bedarfsdeckung in der Zukunft einzusetzen hat. Es wandelt sich nach § 82 Abs. 7 SGB XII nach Ablauf des Verteilzeitraums von sechs Monaten in Vermögen um. Außerdem verliert ihr eigener Miteigentumsanteil seinen Schoncharakter, weil die Immobilie nicht mehr selbst bewohnt wird. Die Anrechnung beginnt, sobald Mittel real zufließen. Sozialhilfe entfällt, weil keine Bedürftigkeit mehr besteht. Kosten der Sozialhilfe der Vergangenheit sind nicht zu ersetzen. Verstirbt die Ehefrau kurz nach dem Ehemann, sind deren Erben zwar mit den Kosten der Sozialhilfe belastet. Davon wird der Sozialhilfeträger aber kaum Kenntnis erlangen.

2. Alternative: Wie zuvor verliert der Miteigentumsanteil der F ihren Schonvermögenscharakter. Das insoweit verwertbar werdende Vermögen wirkt auf die Bedürftigkeit in der Zukunft und M wird mutmaßlich aus dem Sozialhilfebezug herausfallen.

Die Erben des M sind mit der sozialhilferechtlichen Erbenhaftung für die sozialhilferechtlichen Leistungen an die F aus der Vergangenheit belastet, die keine Grundsicherung darstellen. Die Unterbringungskosten in stationärer Heimpflege gliedern sich auf in unterschiedliche existentielle Leistungen und die Fachleistung "Hilfe zur Pflege" (§§ 61 ff. SGB XII). Die Grundsicherungsleistungen müssen also aus der Kostenforderung eliminiert werden.

Weil die Leistungsberechtigte F nicht Erbin ihres Ehemannes wird, hat sie in der Regel gegen den/die Erben des Ehemannes M einen Pflichtteilsanspruch (§ 2303 BGB), der ebenfalls sozialhilferechtlich relevantes Einkommen für den Bedarf der Zukunft darstellt.[983] Diese Option greift aber nur dann, wenn der Nachlass ausreicht, um alle Forderungen zu erfüllen. Reicht die Nachlassmasse nicht zur Begleichung aller Verbindlichkeiten, so sind Pflichtteilsansprüche nachrangig gegenüber § 102 SGB XII.[984] Sie dürfen dann nicht vorab als Passivposten berücksichtigt werden. Der Pflichtteilsberechtigte kann Befriedigung seiner Forderung aus dem schuldenfreien Nachlass verlangen. Vermächtnisse und Auflagen gehen dem Pflichtteilsanspruch im Rang nach.[985]

3. und 4. Alternative: Stirbt die leistungsberechtigte Ehefrau F zuerst, unterliegt ausschließlich ihr Nachlass (½ Miteigentumsanteil) der sozialhilferechtlichen Erbenhaftung. Den Erben des danach versterbenden Ehegatten M verbleibt dessen Nachlass.

Werden die Kinder der F Alleinerben, unterfallen sie der sozialhilferechtlichen Erbenhaftung und müssen eigentlich auch noch den Pflichtteilsanspruch des M erfüllen, denn Pflichtteilsansprüche sind nach § 1967 Abs. 2 BGB Erbfallschulden und gehören damit zu den Nachlassverbindlichkeiten. Die Haftung ist nach § 102 Abs. 2 S. 2 SGB XII auf den Wert des Nachlasses begrenzt. Als Wert des Nachlasses ist das den Erben angefallenen Aktivvermögen abzüglich der Nachlassverbindlichkeiten zu verstehen. Wie in der Alternative zuvor ist der Pflichtteilsanspruch aber nachrangig, wenn der Nachlass nicht zur Begleichung aller Nachlassverbindlichkeiten ausreicht.

Das Eigenvermögen des M bleibt wie in Alternative 3 unangetastet.

[982] Dies entspricht der sozialhilferechtlichen Definition der Erbschaft während des Bedarfszeitraums.
[983] Vgl. hierzu Doering-Striening/Horn, Der Übergang von Pflichtteilsansprüchen, NJW 2013, 1276 ff.
[984] Schlegel/Voelzke/Simon, jurisPK-SGB XII, § 102 Rn 50.
[985] NK-BGB/Krug, § 1975 Rn 58.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge