Rz. 77

Wenn zwei Personen einander Geld schulden, so kann grundsätzlich jeder seine Forderung gegen die Forderung des anderen aufrechnen, wenn die wechselseitigen Forderungen fällig sind (§§ 387 ff. BGB). Die Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als erloschen gelten.

Klagt nun bei wechselseitigen Forderungen eine Partei wegen ihres Anspruches, so kann die andere – die beklagte – Partei ohne die Klageforderung zu bestreiten im Prozess die Aufrechnung mit ihrer Gegenforderung erklären. Da in diesem Fall die Klageforderung unbestritten bleibt und der Beklagte zur Bekämpfung der Klageforderung die Aufrechnung als erstes Abwehrmittel geltend macht, wird diese als Primäraufrechnung (Hauptaufrechnung) bezeichnet. Streitig kann dieser Prozess überhaupt nur dann verlaufen, falls nun der Kläger seinerseits die zur Aufrechnung verwendete Gegenforderung bestreitet. Es dürfte auf der Hand liegen, dass der Streit bei der Primäraufrechnung im Grunde genommen nur über eine Forderung (die vom Kläger bestrittene Gegenforderung des Beklagten) gehen kann, sodass eine Zusammenrechnung der Werte beider Forderungen nicht gerechtfertigt ist – deshalb fällt die Primäraufrechnung auch nicht unter § 45 Abs. 3 GKG. Über den unbestrittenen Bestand der Klageforderung wird weder verhandelt noch muss das Gericht eine Entscheidung über sie fällen; verhandelt und entschieden wird nur über das Bestehen der vom Kläger bestrittenen Gegenforderung.

 

Rz. 78

Von der Primäraufrechnung zu unterscheiden ist die Hilfsaufrechnung, auch Eventualaufrechnung genannt, die vom Beklagten nur hilfsweise als Verteidigungsmittel im Prozess vorgebracht wird. In einem solchen Fall bestreitet der Beklagte zuerst einmal das Bestehen der Klageforderung, beantragt Klageabweisung und bringt Einreden und Einwendungen gegen die Klageforderung vor; nur für den Fall, dass das Gericht gegen ihn entscheiden will, erklärt er hilfsweise die Aufrechnung mit einer ihm gegen den Kläger zustehenden Gegenforderung. Im Gegensatz zur Primäraufrechnung darf das Gericht die Hilfsaufrechnung also erst dann berücksichtigen, wenn die sonstigen Verteidigungsmittel des Beklagten gegen die Klageforderung diese nicht entkräften können. Der Kläger wird nun seinerseits gegen die hilfsweise aufgerechnete Forderung Verteidigungsmittel vorbringen, denn nur wenn er diese ausschalten kann, wird seine Klage den gewünschten Erfolg haben. Sie sehen, dass das Gericht, wenn der Eventualfall eintritt, sich nicht nur mit der Klageforderung, sondern auch mit der Gegenforderung – also mit zwei Forderungen – beschäftigen muss.

Es wird nun für das Verständnis der Regelung des § 45 Abs. 3 GKG förderlich sein, sich zunächst einmal mit dem Zweck dieser Vorschrift zu beschäftigen. Wie vorstehend dargestellt, müssen sich das Gericht und die beteiligten Rechtsanwälte im Falle der Hilfsaufrechnung nicht nur mit der Überprüfung von einer Forderung, sondern von zwei Forderungen befassen: der Klageforderung und auch der Aufrechnungsforderung. Die hierdurch entstehende Mehrarbeit soll nach dem Gesetz durch höhere Gebühren abgegolten werden, die sich als Folge der in § 45 Abs. 3 GKG angeordneten Zusammenrechnung der Werte von Klageforderung und Aufrechnungsforderung ergeben. Höhere Gebühren sind aber nur bei vorstehend dargestelltem Sachverhalt gerechtfertigt, nicht dagegen bei der Primäraufrechnung. Deswegen setzt § 45 Abs. 3 GKG enge Grenzen für die Werteaddition.

 

Rz. 79

Gemäß § 45 Abs. 3 GKG ist bei der Hilfsaufrechnung eine Zusammenrechnung der Werte von Klageforderung und Aufrechnungsforderung nur unter den folgenden drei Voraussetzungen zulässig:

(1) Es muss sich um eine Hilfsaufrechnung handeln – nicht um eine Primäraufrechnung.
(2) Die zur Aufrechnung verwendete Gegenforderung muss vom Kläger bestritten werden – eine Hilfsaufrechnung mit einer unstreitigen Gegenforderung berechtigt nicht zur Werteaddition.
(3) Über die Gegenforderung muss eine der Rechtskraft fähige Entscheidung ergehen – eine Werteaddition ist also nicht zulässig, wenn es zu keiner Entscheidung über die Gegenforderung kommt oder sie nicht der Rechtskraft fähig ist.

Mit "der Rechtskraft fähig" hat es folgende Bewandtnis: das Gericht entscheidet nicht nur über die Klageforderung, sondern auch über das Bestehen der Gegenforderung. Dies birgt für den die Aufrechnung erklärenden Beklagten das Risiko in sich, dass das Gericht zu der Entscheidung gelangt, dass die Gegenforderung nicht besteht. Da dann diese Entscheidung nach § 322 Abs. 2 ZPO der Rechtskraft fähig ist, kann der Beklagte diese Gegenforderung bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, nicht mehr in einem späteren Prozess einklagen. Nur der Mehrbetrag könnte zukünftig noch eingeklagt werden. Übrigens, wenn das Gericht auf das Bestehen der Gegenforderung erkennt, hat diese dann natürlich auch "ausgedient", da sie mit der Aufrechnung erlischt.

 

Rz. 80

Es lassen sich nun beispielhaft einige Fälle aufführen, in denen zwar eine Hilfsaufr...

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