Rz. 38

Eine Gebühr von mehr als 1,3 ("Schwellengebühr") kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Nach anfänglichen Unsicherheiten[36] besteht Einigkeit, dass es sich bei diesem Satz um eine Kappungsgrenze handelt. Sie greift nur dann ein, wenn die Tätigkeit weder umfangreich noch schwierig war. Die Gebührenberechnung findet also in der Weise statt, dass der Anwalt zunächst unter Berücksichtigung der Merkmale des § 14 RVG klärt, zu welchem Gebührensatz er kommt. Liegt dieser Gebührensatz nicht höher als 1,3, hat es dabei sein Bewenden. Ist er zu einem höheren Gebührensatz als 1,3 gekommen, prüft der Anwalt, ob eines der beiden Merkmale vorliegt, nämlich "umfangreich" oder "schwierig". Ist das der Fall, verbleibt es bei der ermittelten Gebühr. Ist es nicht der Fall, muss die Gebühr auf 1,3 reduziert werden.[37]

 

Rz. 39

Es muss nur eines der beiden Merkmale vorliegen. Die Tätigkeit muss nicht "besonders umfangreich" oder "besonders schwierig" gewesen sein. Der Umfang oder der Schwierigkeitsgrad müssen aber überdurchschnittlich gewesen sein. In der Gesetzesbegründung zu Nr. 2300 VV RVG heißt es: "In der Anmerkung soll jedoch bestimmt werden, dass der Rechtsanwalt eine Gebühr von mehr als 1,3 nur fordern kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Damit ist gemeint, dass Umfang oder Schwierigkeit über dem Durchschnitt liegen. In anderen Fällen dürfte die Schwellengebühr von 1,3 zur Regelgebühr werden".[38] "Durchschnittliche" Schwierigkeit oder "durchschnittlicher" Umfang reichen nicht aus.[39] Ein "gewisser" Umfang oder eine "gewisse" Schwierigkeit wäre zu wenig.[40] Das Wort "schwierig" ist das Gegenstück zu "einfach". Dazwischen liegt "durchschnittlich". Das Gleiche gilt für "umfangreich". Das Gegenstück ist "nicht umfangreich" und auch hier liegt "durchschnittlich" zwischen beiden.

 

Rz. 40

Es ist festzuhalten, dass die Mittelgebühr 1,5 und nicht 1,3 ist. Der Gebrauch des Ausdrucks "Regelgebühr" für den Gebührensatz 1,3 ist nur verwirrend. Es ist zwar richtig, dass dann, wenn sämtliche Merkmale des § 14 RVG in durchschnittlicher Form vorliegen, wegen der Kappungsgrenze eine Gebühr von 1,3 und nicht die Mittelgebühr mit 1,5 anzusetzen ist.[41] Andererseits: Im Allgemeinen liegen eben nicht alle Gebührenmerkmale gleichmäßig beim Durchschnitt. Sind alle Merkmale durchschnittlich bis auf den Umfang und/oder die Schwierigkeit und ist eines dieser beiden überdurchschnittlich, ist die Kappungsgrenze bereits überschritten und die Mittelgebühr erreicht.

 

Rz. 41

In der Praxis ist zu beobachten, dass die Schwellengebühr von 1,3 heute so gebraucht wird wie früher die Mittelgebühr. Der Anwalt sollte aber nicht gedankenlos so abrechnen. Ein Blick auf die gesetzliche Regelung und ein Blick auf den Ablauf des Mandats können sich lohnen.

[36] Braun, Gebührenabrechnung nach dem neuen RVG, S. 62.
[37] AnwK-RVG/Onderka, VV 2300 Rn 4 ff.; Gerold/Schmidt/Mayer, VV 2300 Rn 30–32.
[38] BT-Drucks 15/1971, 206, 207.
[39] Henke, AnwBl 2004, 579.
[40] So aber Kitzinger, FamRZ 2005, 10, 11; a.A. auch v. Heimendahl, BRAK-Mitteilungen 2004, 105: Nach dem eindeutigen Wortlaut reiche einfache Schwierigkeit oder einfacher Umfang aus; ebenso Schons, BRAK-Mitteilungen 2004, 203: Durchschnittlicher Umfang oder durchschnittliche Schwierigkeit reichen bereits, um die 1,3 hinter sich zu lassen. Dagegen: Madert, DAR 2004, 417, 418; Meyer/Kroiß/Teubel, RVG VV 2300 Rn 14 ff.; überdurchschnittlichen Umfang bzw. Schwierigkeit verlangt auch Gerold/Schmidt/Mayer, VV 2300 Rn 31 und AnwK-RVG/Onderka/Thiel, VV 2300 Rn 12 ff. mit Beispielen.
[41] Die vom BGH zeitweilig vertretene Anwendung der Toleranzregel, die die Kappungsgrenze praktisch von 1,3 auf 1,5 erhöhte, ist wieder aufgegeben worden, vgl. zunächst BGH AGS 2011, 120 und BGH AGS 2012, 220, dann aber BGH AGS, 2012, 373 und JurBüro 2013, 358.

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