Rz. 546

 

Beispiel (nach DNotI-Report 16/1999)

Die Eheleute M und F errichteten im Jahr 1966 ein privatschriftliches gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und folgende Regelung auf den Schlusserbfall trafen: "Nach dem Tode des Längstlebenden soll der gesamte Nachlass unseren Kindern A, B und C anfallen und unter ihnen zu gleichen Teilen aufgeteilt werden. Dabei soll der Grundbesitz entsprechend dem Einheitswert in möglichst gleichwertige reale Teile aufgeteilt und verteilt werden. Überschießende Beträge sind nach dem Verkehrswert auszugleichen."

Der Ehemann verstarb im Jahr 1966. Die überlebende Ehefrau will jetzt ein Testament errichten. Das Hausgrundstück (Verkehrswert ca. 1 Mio. EUR) soll ihren Kindern A und B zu je 1/2-Anteil zufallen, das weitere Grundstück (Bauplatz, Verkehrswert ca. 300.000 EUR) soll an C gehen. Der Wertunterschied soll ausgeglichen werden.

Steht die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments der beabsichtigten Testamentserrichtung entgegen?

Lösung:

a)

Von der erbrechtlichen Bindung werden beim gemeinschaftlichen Testament nur die letztwilligen Verfügungen des überlebenden Ehegatten erfasst, die mit letztwilligen Verfügungen des vorverstorbenen Ehegatten im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit stehen, §§ 2270, 2271 Abs. 2 BGB. Bei dem hier vorliegenden "Berliner Testament" ist im Zweifel die Schlusserbeneinsetzung der gemeinschaftlichen Abkömmlinge durch den überlebenden Ehegatten wechselbezüglich zur Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten durch den vorverstorbenen Ehegatten, § 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGB.[529]

Wechselbezüglich können nur Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen sein, § 2270 Abs. 3 BGB. Bei der im gemeinschaftlichen Testament getroffenen Anordnung zur Aufteilung des Nachlasses handelt es sich um eine Teilungsanordnung nach § 2048 BGB. Da eine Teilungsanordnung aber nicht im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit stehen kann, folgt daraus, dass der überlebende Ehegatte nicht gehindert ist, eine solche Teilungsanordnung nachträglich zu widerrufen, und insoweit keine erbrechtliche Bindung eingetreten ist.[530]

b) Eine andere Frage ist, ob der überlebende Ehegatte auch nachträglich erstmalig eine Teilungsanordnung treffen bzw. eine widerrufene Teilungsanordnung durch eine andere ersetzen kann. Diese Frage ist umstritten. Zulässig wäre die nachträgliche erstmalige Anordnung einer Teilungsanordnung oder deren "Auswechslung", wenn für den überlebenden Ehegatten ein entsprechender Vorbehalt im Testament enthalten wäre.[531] Nach der Rechtsprechung des BGH[532] gilt dies jedoch für eine nachträgliche erstmalige Anordnung der Teilungsanordnung bzw. ihrer "Auswechslung" auch dann, wenn dem überlebenden Ehegatten diese Befugnis im gemeinschaftlichen Testament oder im Erbvertrag nicht vorbehalten worden ist. Danach ist die nachträgliche erstmalige Anordnung einer Teilungsanordnung bzw. ihre "Auswechslung" keine beeinträchtigende Verfügung i.S.v. § 2289 Abs. 1 BGB, sofern diese nicht zu einer Verschiebung der den bindend Bedachten zukommenden Erbquoten führt.[533] Der BGH begründet seine Meinung mit dem Wortlaut des § 2070 Abs. 3 BGB, wonach eine Teilungsanordnung nicht an der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments bzw. des Erbvertrags teilnehme.[534]
 

Rz. 547

Die BGH-Rechtsprechung wird von der Literatur zum Teil kritisiert mit dem Hinweis, eine Teilungsanordnung sei stets – auch bei vollem Wertausgleich – eine beeinträchtigende Verfügung.[535] Die wohl h.M. in der Literatur[536] und ein Teil der Rechtsprechung[537] haben sich der BGH-Rechtsprechung angeschlossen.

Nach der h.M. kann F die von ihr beabsichtigte Teilungsanordnung verfügen, wenn ein etwaiger Wertunterschied ausgeglichen wird.

Eine andere Lösungsmöglichkeit bestünde im Abschluss eines Zuwendungsverzichtsvertrags nach § 2352 BGB zwischen F und den gemeinschaftlichen Kindern. Diese Lösung wäre sicherer als die einseitige Auswechslung der bestehenden Teilungsanordnung.

[529] J. Mayer, in: Reimann/Bengel/J. Mayer, Testament und Erbvertrag, § 2270 Rn 19.
[530] Lehmann, MittBayNot 1988, 158.
[531] Palandt/Weidlich, § 2271 Rn 19 ff.
[532] BGH NJW 1982, 441, 442.
[533] BGHZ 82, 274, 279.
[534] BGH NJW 1982, 441, 442.
[535] Lehmann, MittBayNot 1988, 158; Staudinger/Kanzleiter, § 2289 Rn 12; OLG Koblenz DNotZ 1998, 218, 219.
[536] Palandt/Weidlich, § 2271 Rn 16; Soergel/Wolf, § 2271 Rn 16; MüKo/Musielak, § 2271 Rn 17.
[537] OLG Braunschweig ZEV 1996, 69, 70.

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