Rz. 260

Gemeint ist die Frage, nach Ablauf welcher Zeit der Arbeitgeber von sich aus tätig werden muss, um die Abmahnung und deren Folgen zu beseitigen bzw. die Abmahnung auch bei Verbleib in der Personalakte kündigungsrechtlich keine Wirkung mehr entfalten kann. Nach der Rspr. des BAG besteht keine bestimmte Frist.[644] Eine ursprünglich berechtigte Abmahnung kann durch Zeitablauf gegenstandslos werden. Insb. kann es nach einer längeren Zeit einwandfreier Führung des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber verwehrt sein, sich auf früher abgemahnte Pflichtverstöße des Arbeitnehmers zu berufen. Eine Abmahnung verliert ihre Bedeutung, wenn aufgrund Zeitablaufs oder neuer Umstände (z.B. einer späteren unklaren Reaktion des Arbeitgebers auf ähnliche Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer) der Arbeitnehmer wieder im Ungewissen sein kann, was der Arbeitgeber von ihm erwartet bzw. wie er auf eine etwaige Pflichtverletzung reagieren wird. Hierbei ist insb. die Art der Verfehlung und das Verhalten des Arbeitgebers im Anschluss an die Abmahnung zu beurteilen.

 

Rz. 261

Für die Praxis sollte jedoch folgendes als Richtschnur angesehen werden:

bei leichteren Pflichtverletzungen (z.B. geringe Unpünktlichkeit, geringfügige Schlechtleistung, insb. bei längeren beanstandungsfreien Zeiträumen) wird eine Wirkungsdauer von sechs Monaten bis zu einem Jahr anzunehmen sein,
bei mittelschweren Pflichtverletzungen (erhebliche Schlechtleistung, verspätete Krankmeldung, insb. wenn die Verfehlungen zu konkreten Beeinträchtigungen des Betriebsablaufs führen) eine Wirkungsdauer von ein bis drei Jahren und
bei schweren Pflichtverletzungen (z.B. Trunkenheit im Dienst, Beleidigungen, Tätlichkeiten, längeres unentschuldigtes Fehlen) bis zu fünf Jahren.
 

Rz. 262

Ein Anspruch auf Entfernung berechtigter Abmahnungen aus der Personalakte allein wegen Zeitablaufs besteht grundsätzlich nicht. Nach der früheren Rspr. des BAG war im Rahmen dieser Konstellation ein Entfernungsanspruch in Ausnahmefällen gegeben.[645] Da nunmehr bei Kündigungen langjähriger Arbeitsverhältnisse der Auf- und Abbau des objektiv zu beurteilenden Vertrauenskapitals substantiiert darzulegen ist,[646] kann hieran nicht mehr festgehalten werden.[647]

[644] BAG v. 10.10.2002, ZTR 2003, 583; BAG v. 18.11.1986, AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung m. krit. Anm. Conze = NZA 1987, 418; für eine lange Wirkung der Abmahnung Schrader, NJW 2012, 342.
[645] BAG v. 13.4.1988, NZA 1988, 654.
[647] ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rn 35 m.w.N.; Ascheid/Preis/Schmidt/Dörner/Vossen, § 1 KSchG Rn 424 m.w.N.

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