Rz. 219

Strafanzeigen oder Anzeigen bei Verwaltungsbehörden gegen den Arbeitgeber können diesen zur verhaltensbedingten Kündigung berechtigten, wenn diese Anzeigen ohne sachlichen Grund erfolgen. Dies gilt insb. für die wahrheitswidrige Behauptung gegenüber Ermittlungsbehörden.[547] Die kündigungsrechtlich erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kann sich im Zusammenhang mit der Erstattung einer Strafanzeige im Einzelfall aber auch aus anderen Umständen ergeben.[548] Eine Anzeige ist nicht kündigungsrelevant, wenn der Arbeitnehmer berechtigte eigene Interessen wahrnimmt und sich zuvor erfolglos mit dem Arbeitgeber in Verbindung gesetzt hat.[549] Nach der Rspr. des BVerfG ist die Aussage eines Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber in einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren sowie die Übergabe von Unterlagen auf Aufforderung der Staatsanwaltschaft, grundsätzlich nicht geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen.[550]

Der Arbeitnehmer handelt vertragswidrig, wenn er unmittelbar die Presse einschaltet und sich nicht an die zuständige Behörde wendet.[551] Nach der Rspr. des EGMR ist der Arbeitnehmer grundsätzlich zu Loyalität und Vertraulichkeit gegenüber seinem Arbeitgeber verpflichtet. Daher ist ein Arbeitnehmer angehalten, sich zunächst an einen Vorgesetzten oder eine andere innerbetriebliche Stelle zu wenden. Nur wenn dies eindeutig unmöglich ist, darf sich der Arbeitnehmer als ultima ratio an die Öffentlichkeit wenden.[552]

Am 26.4.2019 trat das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) in Kraft. Hiernach dürfen Geschäftsgeheimnisse zum Schutz eines berechtigten Interesses offengelegt werden (vgl. § 5 GeschGehG). Zu diesen berechtigten Interessen gehören: freie Meinungsäußerung, Aufdeckung von rechtswidrigen Handlungen und die Aufgabenerfüllung der Arbeitnehmervertretung. Noch ungeklärt ist allerdings, ob sich die in § 5 GeschGehG genannten Ausnahmen lediglich innerhalb des GeschGehG auswirken[553] oder ob sie sich auch zur Verteidigung gegen arbeitsrechtliche Sanktionen heranziehen lässt.[554]

[547] Vgl. Berkowski, NZA-RR 2001, 16; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 428.
[549] BAG v. 3.7.2003, NZA 2004, 427; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 427a.
[551] ArbG Berlin v. 29.5.1990, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 31; lesenswert zum Ganzen (sog. "Whistleblowing"): Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193 ff.
[552] EGMR, 21.7.2011, NZA 2011, 1269.
[553] Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583.
[554] NK-ArbR/Fechner, § 5 GeschGehG Rn 2; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351.

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