1. Internationales Erbrecht

a) Deutsch-türkisches Nachlassabkommen

 

Rz. 366

Im deutsch-türkischen Verhältnis bestimmt sich das auf die Erbfolge anwendbare Recht nach den §§ 14 ff. des Anhangs zum deutsch-türkischen Konsularvertrags von 1929 (Nachlassabkommen NA).[198] Dieses bleibt auch nach dem Anwendungsstichtag für die Erbrechtsverordnung für Deutschland weiterhin vorrangig anwendbar, Art. 75 Abs. 1 EuErbVO.

 

Rz. 367

Der persönliche Anwendungsbereich des Nachlassabkommens ist eröffnet, wenn der Erblasser Angehöriger des jeweils anderen Vertragsstaates – also türkischer oder deutscher Staatsangehöriger – ist. Ausgenommen sind Flüchtlinge i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention, Asylberechtigte und deutsch-türkische Doppelstaater.[199] Gegenständlich beschränkt sich das Abkommen auf das im jeweils anderen Abkommenstaat belegene Vermögen (Art. 20 des Konsularabkommens). Im eigenen Heimatstaat belegenes Vermögen wird also nicht erfasst.

Zitat

§ 14 NA

(1) Die erbrechtlichen Verhältnisse bestimmen sich in Ansehung des beweglichen Nachlasses nach den Gesetzen des Landes, dem der Erblasser zur Zeit seines Todes angehörte.

(2) Die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des unbeweglichen Nachlasses bestimmen sich nach den Gesetzen des Landes, in dem dieser Nachlass liegt, und zwar in der gleichen Weise, wie wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes Angehöriger dieses Landes gewesen wäre.

 

Rz. 368

Hiernach unterliegt die Erbfolge grundsätzlich dem Heimatrecht des Erblassers. Die Erbfolge einer Immobilie unterliegt dem Recht des Belegenheitsortes. Das NA enthält keine Definition des unbeweglichen Vermögens. § 12 Abs. 3 NA bestimmt stattdessen, dass das Recht des Staates, in dem sich der Nachlass befindet, darüber entscheidet, was zum beweglichen und zum unbeweglichen Nachlass gehört (Qualifikationsverweisung). Für in Deutschland belegene Grundstücke und Recht an Grundstücken eines türkischen Erblassers gilt daher deutsches materielles Erbrecht. Für in der Türkei belege Immobilien eines deutschen Erblassers gilt türkisches Erbrecht.

 

Rz. 369

Für die Formwirksamkeit enthält § 16 NA eine alternative Verweisung auf das Heimatrecht des Erblassers und das Recht des Errichtungsortes.

Zitat

§ 16 NA

(1) Verfügungen von Todes wegen sind, was ihre Form anlangt, gültig, wenn die Gesetze des Landes beachtet sind, wo die Verfügungen errichtet sind, oder die Gesetze des Staates, dem der Erblasser zur Zeit der Errichtung angehörte.

(2) Das gleiche gilt für den Widerruf solcher Verfügungen von Todes wegen.

 

Rz. 370

Nach Ratifikation des Konsularvertrages sind sowohl Deutschland als auch die Türkei dem Haager Testamentsformübereinkommen beigetreten (siehe unten Rdn 380). Daher wird allgemein angenommen, dass dessen Bestimmungen – nach dem allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz über den Vorrang des jüngeren Vertrages[200] – Vorrang haben.[201] Da das Haager Übereinkommen nur Testamente, nicht aber Erbverträge erfasst, bleibt für Erb- und Erbverzichtsverträge § 16 NA aber weiterhin maßgeblich.

 

Rz. 371

Ein weiterer Unterschied zur EuErbVO ergibt sich daraus, dass das Nachlassabkommen für Testamente und Erbverträge kein Errichtungsstatut vorsieht.[202] Dörner hält insoweit eine ergänzende Auslegung des Nachlassabkommens für möglich. Dabei stützt er sich darauf, dass auch bei der Ermittlung des Formstatuts die Staatsangehörigkeit bei Errichtung maßgeblich sei. Das Abkommen enthalte also Ansätze für die Ermittlung eines Errichtungsstatuts. Gegen die Anknüpfung eines Errichtungsstatuts spricht aber m.E., dass das türkische IPR – auch in der reformierten Fassung – weiterhin die materiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen dem effektive Erbstatut entnimmt – siehe unten Rdn 373.

[198] Dazu schon oben Rdn 2 ff; Anlage zu Art. 20 des Deutsch-Türkischen Konsularvertrages vom 28.5.1929, RGBl II 1930, 747, Fortgeltung nach dem Krieg wurde vereinbart, BGBl II 1952, 608; Text z.B. in Süß, Erbrecht in Europa, auf der beigefügten CD Rom unter der Rubrik "Türkei"; mit Kommentierung in Staudinger/Dörner, vor Art. 25 f. EGBGB Rn 164; Süß/Süß, Erbrecht in Europa, § 1 Rn 44.
[199] Dörner, ZEV 1996, 90, 92 f.; Bamberger/Roth/St. Lorenz, Art. 25 EGBGB Rn 6.
[200] Art. 30 Nr. 3 des Wiener Vertragsübereinkommens vom 17.1.1983.
[201] Staudinger/Dörner, vor Art. 25 f. EGBGB Rn 185.
[202] Ausführlich zu den Besonderheiten Dörner, ZEV 1996, 90, 93.

b) Autonomes internationales Erbrecht in der Türkei

 

Rz. 372

Trotz des NA bleibt das autonome türkische IPR für folgende Konstellationen weiterhin von Bedeutung:

Der Erblasser war Doppelstaater.
Er gehörte einem Drittstaat an.
Der Nachlass ist nicht auf dem Gebiet des Staates belegen, dem der Erblasser angehört (also in der Türkei belegener Nachlass eines türkischen Erblassers oder in Deutschland belegener Nachlass eines deutschen Erblassers).
In der gerichtlichen Praxis der Türkei wird das NA angeblich häufig ignoriert und auch dann auf das autonome IPR zurückgegriffen, wenn der Erblasser Deutscher war.
 

Rz. 373

Die Erbfolge unterliegt gem. Art. 20 Abs. 1 Gesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 27.11.2007[203] dem Heimatrecht des Verstorbenen. Bei M...

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