Rz. 2

Die Polizei kann eine Person – bei allen landesrechtlichen Unterschieden – in den hier interessierenden Fällen in aller Regel dann in Gewahrsam[2] nehmen, wenn

das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist (Schutzgewahrsam zum Schutz des Betroffen) oder

das unerlässlich ist,

um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder
einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit[3]

zu verhindern.

 

Rz. 3

Denkbar ist auch, dass im Polizeigesetz formuliert ist, dass die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen kann, wenn auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit nicht verhindert oder eine bereits eingetretene Störung nicht beseitigt werden kann.[4]

 

Rz. 4

Bevorstehende Verkehrsstraftaten und Ordnungswidrigkeiten sind damit in jedem Falle grundsätzlich erfasst, da deren Verhinderung zumindest auch die Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeutet.[5]

 

Rz. 5

So eine präventive Ingewahrsamnahme möglich, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern (vgl. z.B. § 18 Abs. 1 Nr. 2a NdsSOG), wenn die Begehung weiterer Straftaten nach §§ 25 Abs. 2, 315 Abs. 1 (gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr), 316b StGB (von Gegnern der Castor-Transporte) verhindert werden soll.[6]

 

Rz. 6

Straftaten und Ordnungswidrigkeiten stehen dann unmittelbar bevor, wenn sie in allernächster Zeit zu erwarten sind. An die Wahrscheinlichkeit sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer sich der mögliche Schaden darstellt.[7] Gerade bei den aus Trunkenheitsfahrten für die Straßenverkehrsgemeinschaft drohenden schwerwiegenden Schäden ist der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der übrigen Verkehrsteilnehmer hoch zu bewerten.

 

Rz. 7

Angesichts eines hohen Grades an Alkoholisierung um die zwei Promille liegt jedenfalls eine drohende Straftat in Form drohender Trunkenheitsfahrten vor.

 

Rz. 8

Bei den Ordnungswidrigkeiten können nur solche in Frage kommen, die mit Blick auf die freiheitsentziehende Wirkung der Ingewahrsamnahme auch gerechtfertigt sind. Die durch die Ordnungswidrigkeit zu erwartenden Folgen müssen sich am Gewicht der durch die Ingewahrsamnahme des Betroffenen grundrechtlich geschützten Freiheit messen lassen.

 

Rz. 9

Die durch das Merkmal "unerlässlich" näher konkretisierte Erforderlichkeit verlangt die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Hinsichtlich der im Rahmen der Angemessenheit der Maßnahme vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Eingriff in die grundrechtlich geschützte Freiheit des Betroffenen und dem Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der übrigen Verkehrsteilnehmer werden die Rechtsgüter der Allgemeinheit letztendlich höher zu bewerten sein. Sollen im Anschluss an eine Trunkenheitsfahrt durch Ingewahrsamnahme weitere Trunkenheitsfahrten verhindert werden, so muss gleichwohl zunächst durch geringer eingreifende Maßnahmen versucht werden, das weitere Fahren zu verhindern. Dabei kommen in Betracht:

Sicherstellung von Fahrzeugschlüsseln,
Sicherstellung des Fahrzeugs (vgl. § 21 Musterentwurf Polizeigesetz, § 21 SPolG),
Erreichen eines Angehörigen, der dann Unterbindung weiterer Fahrten auch sicherstellen kann.
 

Rz. 10

Steht ein hoher Grad einer Alkoholisierung fest und liegen im Anschluss an die Entnahme einer Blutprobe wegen Verdachts einer Trunkenheitsfahrt durch Äußerung und Verhalten des betreffenden Kraftfahrers objektive Anhaltspunkte dafür vor, dass dieser unmittelbar nach seiner Entlassung von der Polizeidienststelle weitere Trunkenheitsfahrten begehen wird, so ist eine Ingewahrsamnahme nach Trunkenheitsfahrt aufgrund Polizeirecht rechtmäßig.[8]

 

Rz. 11

Objektive Anhaltspunkte können dabei sein:

Drohungen des Betroffenen,
Vorbereitungshandlungen des Betroffenen,
Aussagen des Betroffenen,
gesamtes Verhalten des Betroffenen deutet darauf hin, dass er in betrunkenem Zustand weiterfahren werde.
 

Rz. 12

Die festgehaltene Person ist aus der Ingewahrsamnahme wieder zu entlassen, sobald der Grund der Freiheitsentziehung weggefallen ist.[9] Im Anschluss an eine Trunkenheitsfahrt ist dies der Zeitpunkt, zu dem die Gefahr der Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten im oben beschriebenen Sinne entfallen ist.

 

Rz. 13

Wird eine Person aufgrund einer Ingewahrsamnahme festgehalten, so hat die Polizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen. Für diese Entscheidung ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Person festgehalten wird. Das Verfahren richtet sich dann nach den Vorschriften des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen.[10] Teilweise werden auch die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für anwendbar erklärt.[11]

 

Rz. 14

Dieser richterlichen Entscheidung bedarf es abe...

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