Rz. 220

Titel über künftig fällige wiederkehrende Leistungen (§ 258 ZPO) – im Unfallhaftpflichtrecht insbesondere Haftpflichtrenten nach §§ 843 ff. BGB, § 13 StVG, § 8 HPflG, § 38 LuftVG, § 14 UmweltHG, § 30 AtomG und anderen[585] – haben die Besonderheit, dass der Bestand, die Höhe und die Dauer der titulierten Ansprüche von der zukünftigen und oft wechselnden Gestaltung der Verhältnisse abhängt, und beinhalten daher stets eine Prognose dieser zukünftigen Entwicklung (siehe oben Rdn 49 ff.). Das über eine Klage auf wiederkehrende Leistungen entscheidende Urteil wirkt im Rahmen dieser Prognose über den Zeitpunkt der Entscheidung hinaus, weil seine Rechtskraft auch die erst künftig zu entrichtenden Leistungen erfasst, deren Festsetzung auf der Einschätzung der künftigen Entwicklung beruht. Weicht die tatsächliche Entwicklung von dieser Prognose ab, handelt es sich nicht um eine neue Tatsachenlage, sondern um einen Angriff gegen die Richtigkeit des früheren Urteils.[586] Einer Abänderungsklage liegt derselbe Streitgegenstand wie im Vorprozess zugrunde; ein Begehren, mit dem im Wege einer Teil-Abänderungsklage lediglich teilweise – für einen abgegrenzten Zeitraum eines Rentenanspruchs – die Abänderung des Ersturteils erstrebt wird, ist daher unzulässig.[587]

 

Rz. 221

Erweist sich die Prognose als unzutreffend, erlaubt die Abänderungsklage daher als prozessuale Gestaltungsklage unter Durchbrechung der materiellen Rechtskraft die Anpassung des Titels an die stets wandelbaren wirtschaftlichen Verhältnisse.[588] Die Abänderungsklage stellt damit einen prozessualen Anwendungsfall der clausula rebus sic stantibus dar, jenes Grundsatzes, der in der Lehre von der Geschäftsgrundlage seinen Niederschlag gefunden hat.[589] Dieser gilt auch für Haftpflichtrenten, einschließlich Schmerzensgeldrenten.[590] Für das Unterhaltsrecht finden sich in §§ 238 ff. FamFG speziellere prozessuale, inhaltlich jedoch entsprechende Regelungen.[591]

 

Rz. 222

Wie bei allen Angriffen gegen ein rechtskräftiges Urteil zerfällt das Abänderungsverfahren in mehrere Teile: Das – kassatorische – Aufhebungsverfahren und anschließend das – "neuregelnde" – Ersetzungsverfahren.[592] Zum ersten Stadium zählt die Prüfung der Zulässigkeit der Klage, insbesondere der besonderen Prozessvoraussetzungen; nur bei ihrer Bejahung kommt es zum Ersetzungsverfahren. Soweit der Gläubiger im Ersetzungsverfahren eine weitergehende Verurteilung erstrebt, ist die Abänderungsklage zugleich Leistungsklage, soweit der Schuldner dort die Beseitigung der im Ersturteil ausgesprochenen Verpflichtung zur Entrichtung einer wiederkehrenden Leistung anstrebt, ist sie zugleich (negative) Feststellungsklage.[593]

 

Rz. 223

Besondere Prozessvoraussetzungen für die Abänderungsklage sind das Vorliegen eines Urteils (siehe Rdn 227 ff.), das die Verpflichtung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen enthält, sowie eine wesentliche Veränderung der der Entscheidung zugrunde liegenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse (§ 323 Abs. 1 ZPO), die auf Gründen beruht, die nach Schluss der Tatsachenverhandlung des vorausgegangenen Verfahrens entstanden sind und deren Geltendmachung durch Einspruch nicht möglich ist oder war (§ 323 Abs. 2 ZPO). Wird die Abänderung eines Vergleichs oder einer vollstreckbaren Urkunde (siehe Rdn 234 ff.) begehrt, müssen dagegen für die Zulässigkeit der Klage nur Tatsachen vorgetragen werden, die eine Abänderung nach materiellem Recht rechtfertigen (§ 323a Abs. 1 ZPO).

 

Rz. 224

In Bezug auf Leistungen der Sozialversicherung ist eine Abänderungsklage weder zulässig noch erforderlich. Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung – z.B. einer Dauerrente in der Unfallversicherung – bei wesentlicher Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse muss der Sozialversicherungsträger, sobald er von einer solchen wesentlichen Änderung erfährt, von Amts wegen prüfen. Eine Abänderung kommt dann – unabhängig von einem Antrag des Versicherten – mit Wirkung für die Zukunft oder mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse in Betracht (§ 48 SGB X). Dies gilt auch für die Rentenversicherung.

[586] BGH, Urt. v. 3.11.2004 – XII ZR 120/02, NJW 2005, 142; OLG München, Urt. v. 5.7.2019 – 10 U 946/19, BeckRS 2019, 15264 Rn 10; Wieczorek/Schütze/Assmann, § 258 Rn 25; Stein/Jonas/Roth, § 258 Rn 1.
[587] OLG München, Urt. v. 5.7.2019 – 10 U 946/19, BeckRS 2019, 15264 Rn 7 ff.
[589] BGH, Urt. v. 20.12.1960 – VI ZR 38/60, BGHZ 34, 110.
[592] OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.4.1988 – 16 WF 5/88, FamRZ 1988, 859.

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