Rz. 50

Die örtliche Zuständigkeit – auch als Gerichtsstand bezeichnet – bestimmt, welches sachlich in erster Instanz zuständige Gericht, also Amts- oder Landgericht, den Rechtsstreit wegen seines örtlichen Sitzes zu erledigen hat; maßgebend ist der landesrechtlich geregelte Gerichtsbezirk.[81]

[81] Vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, vor § 1 Rn 4.

1. Allgemeines

 

Rz. 51

Der allgemeine Gerichtsstand einer natürlichen Person wird durch deren Wohnsitz (§ 13 ZPO, §§ 7 ff. BGB), der einer juristischen Person durch ihren Sitz (§ 17 ZPO) bestimmt. Das dortige Gericht ist für alle Klagen gegen die Person zuständig (§ 12 ZPO).

 

Rz. 52

Daneben erlauben es aber besondere Gerichtsstände (insbesondere §§ 20 ff. ZPO), bestimmte Klagen auch bei anderen Gerichten zu erheben. Dies ist gerade dann von Nutzen, wenn – wie oftmals im Unfallhaftpflichtrecht – mehrere Personen verklagt werden sollen (§§ 59 ff. ZPO), die unterschiedliche allgemeine Gerichtsstände haben.

 

Rz. 53

Sofern kein ausschließlicher Gerichtsstand gegeben ist, hat der Kläger unter mehreren zuständigen Gerichten die Wahl (§ 35 ZPO). Die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes kann ein Aufrechnungsverbot enthalten.[82] Bei fehlender örtlicher Zuständigkeit hat das angegangene Gericht den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das zuständige Gericht zu verweisen (§ 281 Abs. 1 S. 1 ZPO); der Verweisungsbeschluss ist für das darin bezeichnete Gericht – grundsätzlich – bindend (§ 281 Abs. 2 S. 4 ZPO). Diese Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Beschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt vielmehr nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist.[83]

2. Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO)

 

Rz. 54

Für Klagen aus unerlaubten Handlungen ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist (§ 32 ZPO). Zweck dieser Regelung ist es, einen Gerichtsstand dort zu eröffnen, wo die sachliche Aufklärung und Beweiserhebung in der Regel am besten, sachlichsten und mit den geringsten Kosten erfolgen kann.[84] Der Wahlgerichtsstand der unerlaubten Handlung ist für das Unfallhaftpflichtrecht von zentraler Bedeutung.

a) Unerlaubte Handlung (sachlicher Anwendungsbereich)

 

Rz. 55

Mit "unerlaubten Handlungen" erfasst der Gerichtsstand nicht nur Ansprüche aus Delikt (§§ 823 ff. BGB), sondern auch die Haftung aus einem Schiffsunfall (§§ 735–739 HGB, § 92 BinSchG) sowie die gesetzliche Gefährdungshaftung (insbesondere: §§ 7, 18 StVG, §§ 1 ff. HPflG, § 33 LuftVG, § 89 WHG, § 25 AtomG, § 84 AMG und § 32 GenTG). Für die örtliche Zuständigkeit im Falle der Gefährdungshaftung sind allerdings vielfach gesonderte, wenn auch nicht ausschließliche gesetzliche Regelungen vorhanden, die einen Gerichtsstand am jeweiligen Tatort vorsehen (siehe unten Rdn 107 ff.). Für die Gefährdungshaftung aus einer Umwelteinwirkung (§§ 1 f. UmweltHG) ist jedoch ein ausschließlicher Gerichtsstand gegeben (§ 32a ZPO; siehe unten Rdn 71 ff.).

b) Parteien (persönlicher Anwendungsbereich)

 

Rz. 56

Die Zuständigkeit am Begehungsort ist unabhängig davon gegeben, wer als Kläger den deliktischen Anspruch verfolgt.[85] Der Gerichtsstand ist daher nicht nur für den Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner und für den Direktanspruch gegen dessen Versicherer (§ 115 Abs. 1 S. 1 VVG)[86] begründet, sondern auch für den Rückgriff des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherers gegen den Versicherten (§ 117 Abs. 5 VVG)[87] und die Inanspruchnahme des Schädigers durch den Sozialversicherungsträger (§ 116 SGB X)[88] oder den Arbeitgeber des Verletzten (§ 6 Abs. 1 EFZG). Ebenso kann ein den Gläubiger befriedigender Gesamtschuldner dessen auf ihn übergegangenen Anspruch aus unerlaubter Handlung gegen die übrigen Schuldner (§ 426 Abs. 2 BGB) im deliktischen Gerichtsstand geltend machen.[89] Ob der – interne – Anspruch auf Gesamtschuldnerausgleich (§ 426 Abs. 1 BGB) eine solche Zuständigkeit begründet, wenn Anlass seiner Entstehung eine unerlaubte Handlung war, ist umstritten.[90] Beruft sich der Kläger auf beide Ansprüche (§ 426 Abs. 1 und 2 BGB), handelt es sich jedenfalls um einen einheitlichen Streitgegenstand, der am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung verfolgt werden kann.[91]

 

Rz. 57

Beklagte können im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung Alleintäter, Mittäter, Anstifter, Gehilfen (§ 830 Abs. 1 und 2 BGB)[92] und deren Rechtsnachfolger[93] sowie Personen, die für unerlaubte Handlungen anderer einzustehen haben (insbesondere nach §§ 831, 83...

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