Rz. 175

Die Inhaltskontrolle von Eheverträgen hat nach Auffassung des BGH in einem zweistufigen Verfahren zu erfolgen. Auf der ersten Stufe erfolgt eine Wirksamkeitskontrolle (§ 138 Abs. 1 BGB) und auf der zweiten Stufe eine Ausübungskontrolle (§ 242 BGB). Die Rangeinteilung der einzelnen Scheidungsfolgenregelungen ist dabei auf beiden Stufen zu berücksichtigen.

1. Erste Stufe der Inhaltskontrolle

 

Rz. 176

Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle hat der Richter zu prüfen, ob die Vereinbarung "offenkundig" eine derart einseitige Lastenverteilung zur Folge hat, dass sie wegen Verstoßes gegen die guten Sitten unwirksam ist. Dabei ist eine Gesamtwürdigung der individuellen Verhältnisse der Ehegatten vorzunehmen. Dazu gehören u.a. folgende Umstände:

Objektive Umstände:

die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Ehegatten,
der geplante oder bereits verwirklichte Zuschnitt der Ehe,
die Auswirkungen der Ehe auf die Ehegatten und die Kinder.

Subjektive Umstände:

der von den Ehegatten mit der Vereinbarung verfolgte Zweck,
die Beweggründe, die den Ehegatten bewogen haben, eine ihn möglicherweise begünstigende Vereinbarung von dem anderen Ehegatten zu verlangen, und
die Beweggründe, die den durch die Vereinbarung unter Umständen benachteiligten Ehegatten bewogen haben, dem Verlangen des anderen Ehegatten zuzustimmen.
 

Rz. 177

Maßgebend für die Beurteilung sind die Umstände im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Spätere Entwicklungen der ehelichen Lebensverhältnisse sind dagegen nicht zu berücksichtigen. Die Nichtigkeit des Ehevertrages kann i.R.d. Wirksamkeitskontrolle nur dann angenommen werden, wenn durch den Ehevertrag

Regelungen aus dem "Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts" ganz oder jedenfalls zu erheblichen Teilen abbedungen werden,
diese Nachteile nicht durch anderweitige Vorteile gemildert werden, und
die Vereinbarung nicht aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls (wie bspw. der besonderen Verhältnisse der Ehegatten, den von ihnen angestrebten oder gelebten Ehetyp oder sonstiger gewichtiger Belange des begünstigten Ehegatten) gerechtfertigt sind.
 

Rz. 178

Die Wirksamkeitskontrolle kann dazu führen, dass der Ehevertrag ganz oder teilweise nichtig ist. An die Stelle der nichtigen Vereinbarungen treten die gesetzlichen Regelungen.

2. Zweite Stufe der Inhaltskontrolle

 

Rz. 179

Hält der Ehevertrag der gerichtlichen Wirksamkeitskontrolle stand, ist im Rahmen einer richterlichen Ausübungskontrolle zu prüfen, ob und inwieweit die Berufung auf den Ausschluss gesetzlicher Scheidungsfolgen missbräuchlich erscheint und deshalb das Vertrauen der Begünstigten in den Fortbestand des Vertrags nicht mehr schutzwürdig ist.

Die in diesem Zusammenhang vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Interessen hat sich wiederum an der "Rangordnung der Scheidungsfolgen" zu orientieren. Je höherrangig die vertraglich ausgeschlossenen Rechte sind, desto schwerwiegender müssen die Gründe sein, die trotz der veränderten Lebensverhältnisse einen Ausschluss rechtfertigen.

Bei der Ausübungskontrolle sollen nach Auffassung des BGH auch "Verschuldensgesichtspunkte" eine Rolle spielen. Ein Ehegatte, der die eheliche Solidarität verletzt hat, soll grundsätzlich keine nacheheliche Solidarität einfordern können.

Maßgebend für die Ausübungskontrolle sind vor allem die aktuellen Verhältnisse im Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe. Eine Ausübungskontrolle kommt demnach insb. auch dann in Betracht, wenn die Ehegatten ihre Lebensverhältnisse anders gestaltet haben, als sie dies bei Abschluss des Ehevertrages geplant haben.

 

Rz. 180

Hält die vereinbarte Regelung der Ausübungskontrolle nicht stand, führt dies nicht immer zur Unwirksamkeit der Vereinbarung. Vielmehr hat der Richter die Rechtsfolge anzuordnen, die den berechtigten Belangen beider Ehegatten in ausgewogener Weise Rechnung trägt. Dabei muss sich der Richter vor allem dann an der gesetzlichen Regelung orientieren, wenn die Vereinbarung dem Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts zuzuordnen ist.

Entweder führt also die Wirksamkeitskontrolle zur ganzen oder teilweisen Unwirksamkeit oder aber sie führt über die Ausübungskontrolle nicht zur Unwirksamkeit, sondern zur Anpassung durch den Richter. Dieser Unterschied kann erhebliche Auswirkungen auf etwaige erbrechtliche Ansprüche des Mandanten haben. So können sich plötzlich aufgrund eines anderen Güterstandes des Ehegatten insb. die Erbquoten verschieben. Hierdurch werden auch gleichzeitig die Pflichtteilsquoten verschoben.

 
Ehevertrag unwirksam mit Auswirkungen auf … Auswirkungen für Ehegatten Auswirkungen für Pflichtteilsberechtigte

Güterstand

(z.B. statt vereinbarter Gütertrennung nach Inhaltskontrolle Zugewinngemeinschaft)
Erhöhung der Erbquote gegenüber den Abkömmlingen.
Ist Ehegatte gewillkürter Erbe oder Vermächtnisnehmer, kann dieser ausschlagen nach § 1371 Abs. 3 BGB und den realen Zugewinn nebst sog. kleinen Pflichtteil geltend machen.
Alternativ steht ihm die Aufstockung auf den "großen Pflichtteil" zu.
Ist Ehegatte enterbt, kann er den realen Zugewinnausgleich betreiben nebst sog. klein...

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