Rz. 81

Für Schiedsverfahren enthält § 1051 ZPO eine eigene Kollisionsnorm.[195] Die Vorschrift wurde im Zuge der Reform des Schiedsverfahrensrechts 1998 in Anlehnung sowohl an Art. 3 des seinerzeit geltenden Europäischen Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 als auch an Art. 28 des UNCITRAL-Modellgesetzes über die Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit formuliert. Kern der Regelung ist die Gewährung einer weitreichenden Rechtswahlfreiheit der Parteien eines Schiedsverfahrens hinsichtlich des in der Hauptsache anwendbaren Rechts, wobei die Parteien nicht auf die Wahl eines staatlichen Rechts beschränkt sind, § 1051 Abs. 1 ZPO.[196]

 

Rz. 82

Beim Fehlen einer Rechtswahl hat das Schiedsgericht das Recht des Staates anzuwenden, mit dem der Gegenstand des Verfahrens die engsten Verbindungen aufweist, § 1051 Abs. 2 ZPO. Gem. § 1051 Abs. 3 ZPO können die Parteien das Schiedsgericht auch ermächtigen, nach Billigkeit zu entscheiden. § 1051 Abs. 4 ZPO verpflichtet das Schiedsgericht, die Streitigkeit in Übereinstimmung mit den Vertragsbestimmungen zu entscheiden und bestehende Handelsbräuche zu beachten. Im Folgenden wird lediglich die Rechtswahl gem. § 1051 Abs. 1 ZPO behandelt.

[195] "(Sonder-)Kollisionsrecht für Schiedsprozesse", MüKo-ZPO/Münch, § 1051 Rn 1.
[196] Stein/Jonas/Schlosser, § 1051 Rn 2 u. 13; Zöller/Geimer, § 1051 Rn 3.

a) Gegenstand der Rechtswahl

 

Rz. 83

§ 1051 Abs. 1 ZPO verpflichtet das Schiedsgericht, die Streitigkeit in Übereinstimmung mit den von den Parteien bezeichneten Rechtsvorschriften zu entscheiden. Es besteht Einigkeit, dass sich mit der Verwendung des Begriffs "Rechtsvorschriften" die Absicht verbindet, den Parteien auch die Wahl nichtstaatlicher Regelwerke wie der UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts, der European Principles of Contract Law oder sonstiger, nicht kodifizierter Rechtsgrundsätze ("general Principles of law"; "Lex mercatoria") zu gestatten (hierzu siehe Rdn 2).[197]

 

Rz. 84

Darüber hinaus bestehen weitere Besonderheiten einer Rechtswahl gem. § 1051 Abs. 1 ZPO: Zum einen ist die Rechtswahl gem. § 1051 Abs. 1 ZPO nicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht beschränkt, sondern erfasst alle objektiv schiedsfähigen Streitgegenstände, also z.B. außervertragliche Ansprüche,[198] und zum zweiten fehlt es an den in der Rom I-VO enthaltenen Wirkungsbeschränkungen einer Rechtswahl. Insbesondere fehlt es an einer Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO entsprechenden Beschränkung der Wirkungen einer Rechtswahl auf solche einer materiellrechtlichen Verweisung für den Fall, dass alle Elemente des Sachverhalts außer der Rechtswahl selbst in einem anderen Staat belegen sind als demjenigen, dessen Recht gewählt wurde. Dies eröffnet die Möglichkeit, auch inländische Transaktionen auf Grundlage einer Schiedsabrede entweder ausländischem Recht oder aber einem der genannten nichtstaatlichen Regelwerke mit kollisionsrechtlicher Wirkung zu unterwerfen. Erwogen wird auch die Wahl deutschen Rechts unter Ausschluss des AGB-Rechts.[199]

 

Rz. 85

Zu beachten ist, dass das etwaig für den Hauptvertrag gewählte Recht auch als für die Schiedsvereinbarung maßgeblich angesehen werden kann.[200]

[197] Stein/Jonas/Schlosser, § 1051 Rn 2 u. 13; Zöller/Geimer, § 1051 Rn 3.
[198] Zöller/Geimer, § 1051 Rn 2; für Begrenzung der Rechtswahlfreiheit im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse auch vor Schiedsgerichten: Schack, FS Schütze, S. 511, 517.
[199] Str., Zöller/Geimer, § 1051 Rn 2; Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234; Pfeiffer, NJW 2012, 1169.
[200] BGH IPRax 2020, 238; hierzu Schlosser, IPRax 2020, 222.

b) Verhältnis zur Rom I-VO und zur Rom II-VO

 

Rz. 86

Kontrovers diskutiert wird allerdings, ob nicht die Rom I-VO und die Rom II-VO das in § 1051 ZPO kodifizierte Sonderkollisionsrecht verdrängen.[201] Auswirkungen hätte das vor allem auf die sachliche Reichweite der Rechtswahlmöglichkeit, die in einem solchen Fall entsprechend den genannten Verordnungen beschränkt wäre, aber auch hinsichtlich des zulässigen Gegenstandes einer Rechtswahl, der sich im Falle einer Geltung der Rom I-VO und der Rom II-VO auf die Wahl eines staatlichen Rechts beschränken würde. Auch wäre die kollisionsrechtliche Wirkung der Wahl eines ausländischen Rechts mit Wirkung für inländische Transaktionen vor Schiedsgerichten ausgeschlossen (Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO). Gegen die Annahme, dass § 1051 ZPO durch die Rom I-VO und die Rom II-VO verdrängt wird, spricht jedoch, dass § 1051 ZPO und entsprechende Normen anderer EU-Staaten schon bei Ausarbeitung der Rom I-VO und der Rom II-VO bestanden und der Europäische Gesetzgeber gleichwohl keinen an Schiedsgerichte gerichteten Anwendungsbefehl beabsichtigt, geschweige denn formuliert hat.[202]

[201] So Mankowski, RIW 2011, 30; ders., RIW 2018, 1; McGuire, SchiedsVZ 2011, 257; a.A. u.a. Stein/Jonas/Schlosser, § 1051 Rn 6; Schack, FS Schütze, S. 511 sowie Schilf, RIW 2013, 678.
[202] Stein/Jonas/Schlosser, § 1051 Rn 6; Schack, FS Schütze, S. 511; Schilf, RW 2013, 678.

c) Besonderheiten der Rechtswahl nichtstaatlichen Rechts vor Schiedsgerichten

 

Rz. 87

Eine Rechtswahl kann vor Schiedsgerichten ...

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