Rz. 7

Die nach der deutschen Rechtslage zur Anwendung berufenen

ausländischen Kollisionsnormen (bei Gesamtnormverweisung nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB)
  und/oder die
ausländischen Sachnormen (Art. 4 Abs. 2 S. 1 EGBGB, Art. 20 Rom I-VO, Art. 24 Rom II-VO)

muss das Gericht von Amts wegen feststellen. Es muss das ausländische Recht aber nicht kennen und ist deshalb berechtigt, ermessensgebunden auch verpflichtet,[33] gutachterlichen Rat in Anspruch zu nehmen (siehe § 293 ZPO). Das gilt in entsprechend beschränktem Umfang auch für einstweilige Verfügungsverfahren.[34] Ferner besitzt (nur) das Gericht die Möglichkeit, Auskunft nach dem Londoner Europäischen Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht vom 7.6.1968[35] über Empfangsstellen in den betreffenden Staaten einzuholen.[36] Daneben ermöglicht das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen die Stellung abstrakter Rechtsfragen in den Europäischen Mitgliedstaaten.[37]

Die Anwendung des ausländischen Rechts hat so zu erfolgen, wie es in dem jeweiligen staatlichen Geltungsbereich von den dortigen Gerichten tatsächlich angewendet werden würde[38] (vgl. § 23 Rdn 43 f.). Das kann in der Berufungsinstanz wie jede Rechts- und Tatfrage überprüft werden. In der Revisionsinstanz findet eine Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung des ausländischen Rechts nicht statt (§§ 545 Abs. 1, 560 ZPO).[39] Kontrolliert wird aber die hinreichende Ermittlung ausländischen Rechts nach § 293 ZPO.

 

Rz. 8

Schriftsätzlich kann zum ausländischen Recht frei und zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens[40] vorgetragen werden. Je nach den Umständen kann eine Unterstützungspflicht der Parteien gegenüber dem Gericht entstehen.[41] Soweit die eigene Mitwirkungspflicht hier im Einzelfall reicht, muss fremdes Recht vorgetragen werden. Die Rechtsausführungen können – wegen der amtswegigen Feststellung – als einfache Rechtsbehauptungen gefasst oder durch Anregung von Gutachten/Auskünften ausgeforscht werden. Das ausländische Recht ist keine (vorzutragende) Tatsache. Es ist daher nicht erforderlich, wenn auch üblich, die eigene Rechtsbehauptung unter Sachverständigenbeweis zu stellen (§ 293 S. 1 ZPO).

Vortrag zur Rechtsanwendungsfrage und zum ausländischen Recht etwa aus prozesstaktischen Gründen (zunächst) ganz wegzulassen, begründet die Gefahr einer (stillschweigenden) Rechtswahl zugunsten des Rechts, das den Erörterungen zur Rechtslage zugrunde gelegt wird (vgl. Rdn 43). Insbesondere das deutsche Recht kann so durch Ignoranz zur Anwendung gelangen. Das mag erwünscht sein, muss aber in die prozesstaktischen Überlegungen mit einbezogen werden. Die Einholung von Sachverständigengutachten löst nach dem RVG keine Beweisgebühr aus.[42] Beigebrachte Privatgutachten sind freibeweislich zu würdigen.[43]

 

Rz. 9

Der Anwalt darf auch im Interesse seines Mandanten nicht darauf verzichten, das ausländische Recht zu ergründen und sollte dem Gericht ggf. entsprechende Hilfe anbieten. Erkenntnisquelle und Orientierung kann zunächst die mittlerweile umfangreiche deutschsprachige Literatur über ausländisches Recht geben.[44] Ferner können über das Internet verschiedene Quellen erschlossen werden.[45]

[33] BGH RIW 2013, 488 Rn 29 f.; BGH NJW 1992, 2026, 2029. Es ist eine Frage des pflichtgemäßen Ermessens, inwieweit eine eigene Feststellung des Rechts mit "Bordmitteln" ausreicht, Lindacher, in: FS Ekkehard Schumann, 2001, S. 283, 286; Zöller/Geimer, § 293 Rn 15.
[34] Der Umfang der Prüfung hängt von den präsenten Erkenntnismöglichkeiten ("Bordmittel") ab. Ersatzweise wird deutsches Recht (als lex fori) angewendet; vgl. Staudinger/Looschelders, (Bearb. 2019) Einl. IPR Rn 231 f., 1294.
[35] BGBl II 1974, 938; Jayme/Hausmann, Nr. 200.
[36] Das Gericht darf sich aber nicht mit der erteilten Auskunft zufriedenstellen, sondern muss, falls nötig, alle zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpfen, BGH NJW 2014, 1244, 1245; Jastrow, IPRax 2004, 402; krit. Staudinger/Looschelders, (Bearb. 2019) Einl. IPR Rn 1288, 1290: Fragen und Antworten entsprechen den praktischen Bedürfnissen häufig nicht und es bedarf erneut der Einholung eines Sachverständigengutachtens ("dialogue des sourds").
[37] https://e-justice.europa.eu/content_ejn_in_civil_and_commercial_matters-21-de.do; vgl. Entsch. des Rates v. 28.5.2001 über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen (Abl. EG Nr. L 174, S. 25). Nach § 16a EGGVG ist Kontaktstelle für das Europäische Justizielle Netz der Generalbundesanwalt beim BGH sowie auf Länderebene jeweils eine Landesbehörde.
[38] St. Rspr., BGH NJW 2003, 2685, 2686; BGH v. 24.9.2013 – VI ZB 12/13, NJW 2013, 3656 Rn 21; BGH v. 14.1.2014 – II ZR 192/13, NJW 2014, 1244 Rn 15; BGH v. 7.6.2016 – KZR 6/15, NJW 2016, 2266 Rn 70 (Pechstein); ähnlich: BGH v. 9.2.2017 – V ZB 166/15, NZG 2017, 546 Rn 7 (der Tatrichter ist gehalten, das Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung entwickelt hat); bei noch nicht entschiedenen Fallgestaltungen kann ...

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