Rz. 495

Die verfahrensrechtlichen Regelungen für Kindschaftssachen sind in den §§ 151168a FamFG zusammengefasst. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Begriff der Kindschaftssachen im FamFG neu definiert hat. Nach dem alten Recht verstand man unter Kindschaftssachen im Wesentlichen die das Abstammungsrecht betreffenden Verfahren. Nunmehr ist in § 151 FamFG geregelt, was unter Kindschaftssachen zu verstehen ist. Dazu gehören insbesondere die Verfahren über die elterliche Sorge, das Umgangsrecht und die Kindesherausgabe.

 

Rz. 496

Die örtliche Zuständigkeit der Gerichte für Kindschaftssachen ist jetzt in § 152 FamFG geregelt. Es handelt sich bei den dortigen Regelungen um ausschließliche Zuständigkeiten.

 

Rz. 497

In erster Linie ist das Gericht zuständig, bei dem die Ehesache im ersten Rechtszug anhängig ist oder war (§ 152 Abs. 1 FamFG). Voraussetzung dafür ist, dass es sich um gemeinschaftliche Kinder der Ehegatten handelt.

 

Rz. 498

Ist eine Zuständigkeit nach § 152 Abs. 1 FamFG nicht begründet, bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes (§ 152 Abs. 2 FamFG). Es kommt also nicht mehr auf den Wohnsitz des Kindes an, sondern auf dessen gewöhnlichen Aufenthalt. Der gewöhnliche Aufenthalt wird von einer auf längere Dauer angelegten sozialen Eingliederung gekennzeichnet und ist allein von der tatsächlichen – ggf. vom Willen unabhängigen – Situation gekennzeichnet, die den Aufenthaltsort als Mittelpunkt der Lebensführung ausweist.[334] Zu fordern ist nicht nur ein Aufenthalt von einer Dauer, die zum Unterschied von dem einfachen oder schlichten Aufenthalt nicht nur gering sein darf, sondern auch das Vorhandensein weiterer Beziehungen, insbesondere in familiärer oder beruflicher Hinsicht, in denen – im Vergleich zu einem sonst in Betracht kommenden Aufenthaltsort – der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person zu sehen ist.[335]

 

Rz. 499

Hat ein Elternteil den Aufenthalt des Kindes ohne vorherige Zustimmung des anderen Elternteils geändert, ist das nunmehr gem. § 152 Abs. 2 FamFG zuständige Gericht gem. § 154 FamFG befugt, die Kindschaftssache an das Gericht des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des betroffenen Kindes zu verweisen. Dies gilt nach § 154 S. 2 FamFG nicht, wenn dem anderen Elternteil das Recht der Aufenthaltsbestimmung nicht zusteht oder die Änderung des Aufenthaltsorts zum Schutz des Kindes oder des betreuenden Elternteils erforderlich war. Die Entscheidung liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.

 

Rz. 500

Der für die Feststellung der örtlichen Zuständigkeit maßgebliche Zeitpunkt richtet sich danach, wann das Gericht erstmalig mit der Sache befasst wurde. Dies ist bei Antragsverfahren dann der Fall, wenn ein entsprechender Antrag bei Gericht eingeht.

 

Rz. 501

 

Hinweis

Haben Geschwister unterschiedliche gewöhnliche Aufenthalte, ist eine einheitliche Zuständigkeitsregelung vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. In derartigen Fällen kann eine einheitliche Zuständigkeit nur durch Abgabe aus wichtigem Grund gem. § 4 FamFG herbeigeführt werden.

 

Rz. 502

Gem. § 153 S. 1 FamFG ist eine Kindschaftssache, die ein gemeinschaftliches Kind der Ehegatten betrifft und in 1. Instanz bei einem anderen Gericht als dem Gericht der Ehesache anhängig ist, an das Gericht der Ehesache abzugeben, wenn dort eine Ehesache rechtshängig wird.

 

Rz. 503

Die sachliche Zuständigkeit in Kindschaftssachen ergibt sich aus §§ 23a Abs. 1 Nr. 1, 23b Abs. 1 S. 1 GVG. Die internationale Zuständigkeit ergibt sich vorrangig aus der EuEheVO.[336] Auch hier wird für die Zuständigkeit an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes angeknüpft. Ist kein Mitgliedsstaat nach Art. 8–13 der Verordnung zuständig, ist das Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) vom 19.10.1996 oder das Minderjährigenschutzabkommen vom 5.10.1961, hilfsweise § 99 FamFG zu berücksichtigen.

 

Rz. 504

In den Verfahren nach

§ 1628 BGB (gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern),
§ 1632 Abs. 3 BGB (Streitigkeiten über die Herausgabe oder den Umgang des Kindes),
§ 1671 BGB (Sorgerechtsantrags bei Getrenntleben bei gemeinsamer elterliche Sorge),
§ 1672 BGB (Sorgerechtsantrags bei Getrenntleben bei elterliche Sorge der Mutter)

ist zur Einleitung des Verfahrens ein entsprechender Antrag Voraussetzung, in den übrigen Fällen bedarf es zur Einleitung des Verfahrens nur einer Anregung an das Gericht.

 

Rz. 505

Anwaltszwang besteht ausweislich § 114 FamFG in isolierten Kindschaftssachen weder im ersten noch im zweiten Rechtszug.

 

Rz. 506

Ein wesentliches Ziel des Gesetzgebers bei der Reform des familiengerichtlichen Verfahrens war die Beschleunigung von Umgangs- und Sorgerechtsverfahren. Dementsprechend ist nunmehr in § 155 FamFG ein sogenanntes Vorrang- und Beschleunigungsgebot enthalten, welches für Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, sowie Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls, gilt. Dieses soll verhindern, dass die Entscheidung des Ger...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge