Rz. 195

Seiner Beweislast für das Vorliegen des Entgeltfortzahlungsanspruches genügt der Arbeitnehmer grds. durch Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (BAG v. 15.7.1992, NZA 1993, 23 = DB 1992, 2347). Die Überprüfung der Richtigkeit der vom Arbeitnehmer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat unter entsprechender Anwendung der Grundsätze zu erfolgen, die zur Überprüfung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG entwickelt worden sind (BAG v. 11.10.2006, DB 2007, 1313; ErfK/Dörner, § 5 EFZG 14 f.)

 

Rz. 196

Bestreitet der Arbeitgeber trotz vorgelegter ordnungsgemäß ausgestellter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, muss er den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Dies ist dann der Fall, wenn ernsthafte Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit dargelegt werden. Bloßes Bestreiten reicht nicht aus (zum Beweiswert eines ärztlichen Beschäftigungsverbots vgl. BAG v. 21.3.2001, NZA 2001, 1017). Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert werden durch Umstände im Zusammenhang mit der Bescheinigung selbst, des ausstellenden Arztes (wenn dieser unstreitig Dritte ohne Untersuchung krankgeschrieben hat, LAG München v. 11.2.2015 – 5 Sa 804/14), und neuerdings zusätzlich das eine solche Ferndiagnose mittels Kommunikationsmedien nicht sorgfältig und lege artis erfolgt ist, oder durch das Verhalten des Arbeitnehmers vor der Erkrankung und durch dessen Verhalten während der bescheinigten Dauer der Arbeitsunfähigkeit (LAG Köln v. 29.6.2007, PersV 2008, 272; LAG Düsseldorf v. 3.9.2009, Personalmagazin 2010, 56). Das Arbeitsverhältnis kann aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn es sich in Wahrheit nur um eine vorgetäuschte Krankheit handelt. Dann ist es wiederum Sache des Arbeitnehmers, weiter zu substantiieren, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben, welche Verhaltensmaßregeln der Arzt gegeben hat, welche Medikamente z.B. bewirkt haben, dass der Arbeitnehmer zwar immer noch nicht die geschuldete Arbeit bei seinem Arbeitgeber verrichten konnte, er aber zu leichten anderweitigen Tätigkeiten in der Lage war (LAG Rheinland-Pfalz v. 8.10.2013 – 6 Sa 188/13).

 

Rz. 197

Hat der Arbeitgeber ernsthafte und begründete Zweifel, kann er verlangen, dass der Arbeitnehmer sich der Untersuchung durch einen von ihm benannten Arzt unterzieht. Die Weigerung des Arbeitnehmers kann prozessrechtlich als Beweisvereitelung gewertet werden (LAG Berlin v. 27.11.1993, DB 1990, 1621).

 

Rz. 198

Einer von einem ausländischen Arzt im Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (§ 5 Abs. 2 EFZG) kommt im Allgemeinen der gleiche Beweiswert zu wie einer von einem deutschen Arzt ausgestellten Bescheinigung. Die Bescheinigung muss jedoch erkennen lassen, dass der ausländische Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterscheidet und damit eine den Begriffen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechtes entsprechende Beurteilung vorgenommen hat (vgl. jetzt BAG v. 19.2.1997, NZA 1997, 652 = DB 1997, 535; BAG v. 20.2.1985, DB 1985, 2618 = BAGE 48, 115 = NJW 1986, 801). Der EuGH entschied mit Urt. v. 3.6.1992, aufgrund bestimmter Vorschriften der Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72 sei der deutsche Arbeitgeber an Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gebunden, die während des Auslandsaufenthaltes seiner Arbeitnehmer in einem anderen EU-Staat ausgestellt werden (EuGH v. 3.6.1992, NZA 1992, 735). Diese Entscheidung wurde dahin gehend ergänzt, dass dem Arbeitgeber trotz der grundsätzlichen Bindung an das Attest nicht der Beweis des Rechtsmissbrauches abgeschnitten sei (EuGH v. 2.5.1996, NZA 1996, 635).

 

Rz. 199

Kommt der Arbeitnehmer bei einer Erkrankung im Ausland den Anzeige- und Nachweisverpflichtungen nach § 5 Abs. 2 EFZG nicht nach, folgt allein hieraus kein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers, sondern nur das Zurückbehaltungsrecht aus § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG. Dieses endet, wenn es dem Arbeitnehmer gelingt, anderweitig zu beweisen, dass er arbeitsunfähig krank gewesen ist. Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, für den Zeitraum ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit das Entgelt fortzuzahlen, vgl. LAG Hamm v. 15.2.2006, EEK 3235; BAG v. 1.10.1997, NZA 1998, 369.

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