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§ 164 Abs. 2 SGB IX ordnet darüber hinaus an, dass der Arbeitgeber schwerbehinderte Menschen nicht benachteiligen darf. Die Einzelheiten hierzu regelt seit dem 1.1.2007 das AGG. Nach dessen § 1 dürfen Menschen nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt werden. Nach § 2 AGG sind Benachteiligungen unzulässig in Bezug auf Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, beruflichen Aufstieg, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, den Zugang zur Berufsbildung, Berufsausbildung und zur beruflichen Weiterbildung. Eine unterschiedliche Behandlung ist jedoch zulässig, wenn dies wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder den Ausübungsbedingungen für die Tätigkeit erforderlich ist, § 7 AGG. Dabei muss die an den Beschäftigten gestellte Anforderung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen beruflichem Zweck und Schutz vor Benachteiligung entsprechen. Lädt der öffentliche Arbeitgeber entgegen § 164 S. 2 SGB IX einen schwerbehinderten Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein, so kann die hierdurch verursachte Vermutung der diskriminierenden Benachteiligung nur durch solche Gründe nach § 22 AGG widerlegt werden, die nicht die fachliche Eignung betreffen. Insoweit enthält § 164 S. 3 SGB IX mit dem Erfordernis der "offensichtlichen Nichteignung" eine abschließende Regelung (BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 188/12). Diese Vermutungswirkung entfällt auch nicht dadurch rückwirkend, dass der öffentliche Arbeitgeber nach einem entsprechenden Hinweis durch den schwerbehinderten Bewerber die zunächst unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nachholt (BAG v. 22.8.2013 – 8 AZR 563/12).

Auch die Tatsache, dass sich auch die Schwerbehindertenvertretung selbst auf eine freie Stelle beim Arbeitgeber bewirbt, führt nicht zum Ausschluss der gesetzlichen Pflicht nach den §§ 164 Abs. 1 S. 6, 178 SGB IX, wonach der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung am Bewerbungsverfahren zu beteiligen hat. Die Nichtbeteiligung der Schwerbehindertenvertretung am Bewerbungsverfahren stellt daher auch in einem solchen Fall ein Indiz i.S.d. § 22 AGG dafür dar, dass Menschen mit Behinderung bei der Einstellung benachteiligt wurden (BAG v. 22.8.2013 – 8 AZR 574/12).

Nach wie vor hat der schwerbehinderte Mensch keinen Anspruch auf Einstellung, sondern einen Anspruch auf Schadensersatz, der bei Nichtvermögensschäden auf drei Monatsgehälter beschränkt ist und innerhalb von zwei Monaten nach Zugang der Ablehnung oder der Kenntnis von der Benachteiligung geltend gemacht werden muss, § 15 AGG. Zur Vorgängernorm hat das BAG entschieden, dass der Entschädigungsanspruch nicht gegen Verfassungsrecht verstößt und die fehlende Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung die Benachteiligung vermuten lässt (BAG v. 15.2.2005, NZA 2005, 870). Verstößt der Arbeitgeber gegen die in § 164 Abs. 1 und 2 SGB IX geregelte Pflicht zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können, und frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufzunehmen, begründet dies ein Indiz für eine verbotene Benachteiligung schwerbehinderter Menschen bei der Stellenbesetzung. Die in § 164 Abs. 1 SGB IX geregelte gesetzliche Pflicht trifft alle Arbeitgeber, nicht nur die des öffentlichen Dienstes (BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10). Die Behinderung muss zumindest mitursächlich für die benachteiligende Handlung gewesen sein. Das ist ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber beweist, dass ausschließlich andere Gründe erheblich waren (BAG v. 21.7.2009, NZA 2009, 3319). Auf die Schutzvorschriften für schwerbehinderte Menschen nach dem SGB IX kann sich nur berufen, wer unter den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fällt. Das sind schwerbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 50 oder die diesen durch ein förmliches Verfahren gleichgestellten Menschen. Ein einfach behinderter Bewerber kann sich daher nicht im Sinne von Vermutungstatsachen auf Verstöße des Arbeitgebers im Bewerbungsverfahren gegen die §§ 164 ff. SGB IX berufen. Dieser Personenkreis kann sich nur auf das AGG und dort auf § 22 AGG berufen (BAG v. 27.1.2011, NZA 2011, 737). Ein Schadensersatzanspruch wegen einer Benachteiligung im Bewerbungsverfahren ist aber nur begründet, wenn Indizien die Benachteiligung vermuten lassen (BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 180/12).

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