Rz. 171

Begreift man die Arbeitsordnung als geschriebenen oder ungeschriebenen Kanon von Normen eines Betriebes, Unternehmens oder Konzerns, welche die betriebliche Ordnung und das Verhalten der Arbeitnehmer lenken, kann man folgende Herkunft dieser Normen unterscheiden:

aa) Zwingende gesetzliche Regelungen

 

Rz. 172

Teilweise wird das soziale Verhalten der Arbeitnehmer bereits durch zwingende gesetzliche Regelungen vorgegeben, sodass der Arbeitgeber keinen Spielraum mehr hat, anderweitige Regelungen zuzulassen. In einem solchen Fall besteht kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates, da kein Raum für eine abweichende betriebliche Gestaltung bleibt (vgl. BAG v. 13.9.2022 – 1 ABR 22/21). Dies gilt z.B. für spezielle Rauchverbote, z.B. nach § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Nr. 2 Nichtraucherschutzgesetz NRW. Danach ist das Rauchen in Krankenhäusern und stationären Pflegeeinrichtungen allgemein untersagt. Der Arbeitgeber muss also seinen Arbeitnehmern das Rauchen in diesen Betrieben untersagen. Ein Spielraum, den man durch Ausübung des Direktionsrechtes nutzen könnte, oder Raum für eine Betriebsvereinbarung, die Ausnahmen vom Rauchverbot zuließe, verbleibt daher in diesen Fällen nicht. Solche zwingenden Regelungen sind vielfältig und über zahlreiche Arbeitsschutzgesetze verteilt. Bspw. regeln die Bestimmungen der §§ 1, 3, 7 und 12 AGG das Verbot "unwillkommener sexueller Zudringlichkeiten oder Körperkontakte, Gesten und Aussagen sexuellen Inhalts" inhaltlich, sodass kein Raum für eine ergänzende oder gar ersetzende betriebliche Regelung bliebe (BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07).

 

Rz. 173

Im internationalen Kontext stellt sich dabei die Frage, ob und inwieweit ausländische gesetzliche Regelungen das inländische Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG blockieren. In der Honeywell-Entscheidung hat das BAG hierzu zutreffend erkannt, dass ausländische Vorschriften jedenfalls dann keine die Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG ausschließende gesetzliche Regelungen sind, wenn es an einer wirksamen völkerrechtlichen Transformation in das deutsche Arbeitsrecht fehlt (BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07). Das Mitbestimmungsrecht wird aber dann nicht ausgeschlossen, wenn die gesetzliche Regelung (hier: EU-Verordnung) einen unbestimmten Rechtsbegriff enthält, der einen rechtlichen Rahmen für die der Mitbestimmung unterliegenden Entscheidung des Arbeitgebers festlegt (BAG v. 7.2.2012 – 1 ABR 63/10).

bb) Mitbestimmte Arbeitsordnungen

 

Rz. 174

Mitbestimmte Arbeitsordnungen basieren auf § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Danach hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Von diesem Mitbestimmungstatbestand erfasst wird nach der Rspr. des BAG die gesamte Gestaltung des Zusammenlebens der Arbeitnehmer im Betrieb (BAG v. 24.3.1981 – 1 ABR 32/78). Dieser praktisch wichtige Mitbestimmungstatbestand erfasst nicht nur die Normierung der entsprechenden Verhaltensregeln für die Arbeitnehmer, sondern auch deren Vollzug (Richardi/Richardi, BetrVG, § 87 Rn 176). Es geht hierbei regelmäßig um verbindliche Regeln des Ordnungsverhaltens der Arbeitnehmer, nicht jedoch des sog. Arbeitsverhaltens der Arbeitnehmer (BAG v. 10.3.2009 – 1 ABR 87/07). Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG setzt allerdings nicht notwendig voraus, dass es sich um verbindliche Verhaltensregeln handelt. Es greift ausnahmsweise auch dann ein, wenn es sich um Maßnahmen handelt, die das Verhalten der Arbeitnehmer in Bezug auf die betriebliche Ordnung betreffen, ohne dass sie verbindliche Vorgaben zum Inhalt haben. Ausreichend ist es, wenn die Maßnahme darauf gerichtet ist, das Verhalten der Arbeitnehmer zu steuern oder die Ordnung des Betriebes zu gewährleisten (BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07; BAG v. 18.4.2000 – 1 ABR 22/99).

 

Rz. 175

Überhaupt kein Mitbestimmungsrecht besteht im Hinblick auf das außerdienstliche Verhalten der Arbeitnehmer, das auch dem Direktionsrecht des Arbeitgebers nicht zugänglich ist. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG berechtigt also die Betriebsparteien nicht, in die private Lebensführung der Arbeitnehmer einzugreifen (BAG v. 28.5.2002 – 1 ABR 32/01). Nach der zutreffenden Rspr. des BAG ist der Begriff des Betriebes allerdings nicht räumlich, sondern funktional zu verstehen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates soll immer dann ausgeübt werden können, wenn der Arbeitgeber das mit ihrer Tätigkeit verbundene Verhalten der Arbeitnehmer regelt (BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07). Der Bereich der Mitbestimmung bleibt damit eröffnet, wenn das Verhalten im Betrieb geregelt werden soll, auch soweit es privat motiviert ist, wie z.B. bei Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz (so ausdrücklich BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07). Liegt ein individualrechtlich unzulässiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer vor, schließt dies nach der Rspr. des BAG die Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 87 BetrVG deshalb noch nicht aus. Ein generelles Verbot von Liebesbeziehungen im Betrieb ist ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge