A. Einleitung

 

Rz. 1

Wird nach Rechtskraft einer Entscheidung bekannt, dass die Entscheidung verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist oder auf einer unrichtigen Tatsachengrundlage beruht, hat dies auf den Bestand der Entscheidung grundsätzlich keine Auswirkung; das Abänderungsinteresse tritt grundsätzlich hinter das Bestandsinteresse zurück.

 

Rz. 2

Stellt sich jedoch nach Rechtskraft der Entscheidung heraus, dass die Entscheidung unter schwersten Verfahrensmängeln zustande gekommen ist, kann das Bestandsinteresse seinen Vorrang nicht mehr automatisch beanspruchen. Dasselbe gilt, wenn die Tatsachengrundlage der rechtskräftigen Entscheidung deswegen unrichtig ist, weil die Tatsachen unter Einsatz strafbarer Mittel Entscheidungsgrundlage geworden sind oder aber gar keine Entscheidungsgrundlage hätten werden dürfen, weil entgegenstehender Tatsachenvortrag urkundlich belegt werden kann und die benachteiligte Partei kein Verschulden daran trifft, dass die Urkunde nicht schon im rechtskräftig abgeschlossenen Rechtsstreit vorgelegt worden ist.

 

Rz. 3

Nur in diesen Ausnahmefällen lässt die Rechtsordnung gem. §§ 578 ff. ZPO die Wiederaufnahme des Verfahrens zu, die ihrem Zweck nach – wie ein Rechtsmittel – darauf abzielt, das belastende rechtskräftige Urteil durch prozessuales Gestaltungsurteil zu beseitigen und den früheren Rechtsstreit von neuem zu verhandeln.

 

Rz. 4

 

Hinweis

Die Restitutionsgründe können aber auch über Wiederaufnahmeverfahren hinaus Bedeutung erlangen. Über die Beschränkung des vom Revisionsgericht zu berücksichtigenden Parteivorbringens in § 559 Abs. 1 ZPO hinaus kann nach gefestigter Rechtsprechung des BGH tatsächliches Vorbringen zu den in § 580 ZPO angeführten Restitutionsgründen zu berücksichtigen sein. Dabei ist aber zu unterscheiden: Soweit die Restitutionsgründe auf einer strafbaren Handlung beruhen (§ 580 Nr. 1 bis 5 ZPO), können sie in der Revisionsinstanz geltend gemacht werden, wenn deswegen eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist (vgl. § 581 Abs. 1 ZPO). Entsprechendes gilt für den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 6 ZPO. Beruft sich der Revisionskläger in der Revisionsinstanz dagegen auf § 580 Nr. 7b ZPO (Wiederauffinden einer Urkunde oder Möglichkeit, diese zu gebrauchen), kann das neue tatsächliche Vorbringen zugelassen werden, wenn anderenfalls in dem anhängigen Verfahren noch weitere unrichtige Urteile ergehen, die nur durch eine Restitutionsklage beseitigt werden können. Wird der Rechtsstreit durch das Urteil des Revisionsgerichts insgesamt beendet, können dagegen neue Tatsachen und Beweismittel, die einen Restitutionsgrund nach § 580 Nr. 7b ZPO darstellen, grundsätzlich nicht entgegen § 559 Abs. 1 ZPO berücksichtigt werden.[1] Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil kann allerdings nicht auf den Restitutionsgrund des nachträglichen Auffindens einer Urkunde (§ 580 Nr. 7b ZPO) gestützt werden.[2] Allerdings kann eine Prozesshandlung – etwa ein Anerkenntnis – im anhängigen Rechtsstreit widerrufen werden, wenn die Prozesshandlung von einem Restitutionsgrund nach § 580 ZPO betroffen ist, aufgrund dessen das Urteil, das auf der Prozesshandlung beruht, mit der Wiederaufnahmeklage beseitigt werden könnte.[3]

B. Rechtliche Grundlagen

I. Überblick

1. Abgrenzungen

a) Abgrenzung gegenüber der Anhörungsrüge nach § 321a ZPO

 

Rz. 5

Die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens sind nicht die einzigen Regelungen in der ZPO, die eine Durchbrechung der Rechtskraft ermöglichen; so lässt sich eine Rechtskraftdurchbrechung auch durch die in § 321a ZPO geregelte Anhörungsrüge ermöglichen (vgl. § 14 Rdn 100).[4] Hiernach kann die Beschwerdepartei eine Verfahrensfortführung erreichen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Ist die Rüge begründet, hilft das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist.

[4] Braun, NJW 2007, 1620.

b) Abgrenzung gegenüber der Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO

 

Rz. 6

Abzugrenzen sind die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens ferner von der in § 767 ZPO geregelten Vollstreckungsabwehrklage. Die Vollstreckungsabwehrklage unterscheidet sich von der Wiederaufnahme des Verfahrens in ähnlicher Weise wie die Abänderungsklage dadurch, dass neue Umstände entstanden sind, die den Inhalt des titulierten Anspruchs als nicht mehr richtig erscheinen lassen. Der hierzu erforderliche Tatsachenvortrag muss genauso wie bei der Abänderungsklage nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung entstanden sein (§ 767 Abs. 2 ZPO). Die Vollstreckungsabwehrklage ist aber anders als die Abänderungsklage kein Mittel zur Rechtskraftdurchbrechung; nach h.M. nimmt sie dem Titel lediglich die Vollstreckbarkeit[5] und dient so der Durchsetzung der nach Schaffung des Vollstreckungstitels geänderten Rechtslage.[6]

[5] BGHZ 118, 229.
[6] Vgl. Zöller/Herget, § 767 ZPO Rn 1.

c) Abgrenzung gegenüber der Klage aus § 826 BGB

 

Rz. 7

Unter der Überschrift "Rechtskraftdurchbrechung"[7] werden schließlich noch Fä...

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