Rz. 56

Ob ein lebzeitiges Eigeninteresse oder andere Gründe vorliegen, die eine den Vertragserben beeinträchtigende lebzeitige Verfügung des späteren Erblassers trotz seiner erbvertraglichen Bindung billigenswert und gerechtfertigt erscheinen lassen, hat der Tatrichter aus der Sicht eines objektiven Beobachters in Anbetracht der gegebenen Umstände zu beurteilen, und dabei sind die persönlichen Verhältnisse und Vorstellungen zu berücksichtigen.[113] Ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers, das nicht zur Annahme eines Missbrauchs führt, ist bspw. dann zu bejahen, wenn der Erblasser mit der Schenkung seine Pflege oder Versorgung im Alter sichern wollte (zu Einzelfällen der Rechtsprechung siehe Rdn 59).[114]

Im Einzelnen handelt es sich beim lebzeitigen Eigeninteresse in vielen Fällen um die Wahrnehmung einer sittlichen Verpflichtung des Erblassers, die sich aus besonderen Leistungen des Beschenkten gegenüber dem Erblasser ergibt.[115]

Ein lebzeitiges Eigeninteresse fehlt dagegen, wenn die Verfügung allein darauf angelegt ist, dass ein anderer als der Vertrags- oder Schlusserbe wesentliche Vermögensteile nach dem Tod des Erblassers ohne angemessene in den Nachlass fließende Gegenleistung erhält.[116] Insbesondere ist der spezifische Anwendungsbereich des § 2287 BGB dann gegeben, wenn der Erblasser ohne Änderung der bei Vertragsschluss bzw. Testamentserrichtung gegebenen Umstände allein wegen eines auf eine Korrektur der Verfügung von Todes wegen gerichteten Sinneswandels anstelle der bedachten Person einer anderen wesentliche Vermögenswerte zuwendet, nur weil diese andere Person ihm – jetzt – genehmer ist.[117] Dies ist namentlich dann der Fall, wenn der Erblasser nachträglich meint, eine im Erbvertrag oder im gemeinschaftlichen Testament erwähnte Person zu gering bedacht zu haben, und dies durch eine Schenkung zugunsten dieser Person zu korrigieren sucht.[118]

Die Feststellung eines lebzeitigen Eigeninteresses erfordert eine umfassende Abwägung der Interessen im Einzelfall. Es kann fehlen, wenn der Erblasser Zuwendungen erheblicher Vermögenswerte in erster Linie aufgrund eines auf Korrektur der Verfügung von Todes wegen gerichteten Sinneswandels vornimmt.[119]

[113] BGH ZEV 2005, 479, 480 = FamRZ 2005, 1550 = ZErb 2005, 327; BGH NJW 1992, 2630; BGHZ 77, 264, 266.
[114] BGH NJW 1984, 121.
[115] BGH FamRZ 1992, 607.
[116] BGHZ 59, 343, 350; BGHZ 66, 8, 16 f.; BGH WM 1977, 201, 202; BGH WM 1977, 876, 877; OLG Celle FamRZ 2003, 1971 = ZEV 2003, 417 = OLGR Celle2003, 326.
[117] BGHZ 66, 8, 16; BGHZ 77, 264, 267; BGHZ 83, 44, 46; BGH WM 1977, 201, 202; BGH WM 1977, 876, 877; OLG Düsseldorf NJW-RR 1986, 806, 807.
[118] BGHZ 77, 264, 268; BGH WM 1977, 201, 202; OLG Frankfurt NJW-RR 1991, 1157, 1158.
[119] OLG Hamm ErbR 2018, 34 = FamRZ 2018, 717 = ZEV 2018, 93.

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