Rz. 9

Wiedereinsetzung ist grundsätzlich nur dann möglich, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die o.g. Fristen einzuhalten. Hat die Partei schuldhaft eine Frist versäumt, scheidet die Wiedereinsetzung aus.

 

Rz. 10

Nur ein fehlendes Verschulden an der Fristversäumung kann zu einer Wiedereinsetzung führen. Verschuldet die Partei selbst die Fristversäumung, kann ihr daher Wiedereinsetzung nicht gewährt werden. Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich, § 85 Abs. 2 ZPO. An der Fristversäumung muss die Partei bzw. ihr anwaltlicher Vertreter daher schuldlos sein, um Wiedereinsetzung erlangen zu können. Der Sorgfaltsmaßstab richtet sich nach den individuellen Fähigkeiten der Partei. Vorsatz und Fahrlässigkeit jeden Grades sind schädlich. Die bloße Möglichkeit einer Schuldlosigkeit reicht nicht aus.

 

Rz. 11

 

Hinweis

Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei muss sich die Partei wie eigenes Verschulden zurechnen lassen, § 85 Abs. 2 ZPO.

 

Rz. 12

Andererseits dürfen die Anforderungen an die Partei nicht überspannt werden. Allein aufgrund von Förmlichkeiten soll die Partei keinen Schaden erleiden. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG) verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste.[5]

 

Rz. 13

Der Partei ist das Verschulden des Prozessbevollmächtigten, nicht aber dasjenige des Büropersonals zuzurechnen.[6] Jedoch wird insbesondere ein Organisationsverschulden des Anwalts zur Versagung der Wiedereinsetzung führen. Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) gebietet es den Gerichten jedoch nach ständiger Rechtsprechung des BGH,

Zitat

"einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren".[7]

 

Rz. 14

 

Hinweis

Anwälte dürfen bestimmte Tätigkeiten auf bestimmtes Personal übertragen (siehe § 22 Rdn 2). Ein Verschulden des Personals hindert die Wiedereinsetzung nicht, solange dem Anwalt kein Organisations- oder sonstiges Verschulden zur Last gelegt werden kann![8]

 

Rz. 15

Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden, wenn die Möglichkeit offen geblieben ist, dass die Einhaltung der Frist schuldhaft versäumt worden ist.[9] Der Rechtsanwalt hat seine Partei so rechtzeitig (zweckmäßigerweise sofort nach Eingang des Urteils) vom Zeitpunkt der Zustellung und über die daraus folgenden Umstände der Rechtsmitteleinlegung zu unterrichten, dass die Partei den Auftrag zur Einlegung des Rechtsmittels auch unter Berücksichtigung einer ausreichenden Überlegungsfrist noch innerhalb der Rechtsmittelfrist erteilen kann; wobei eine Information eine Woche vor Fristablauf auch in einfachen Fällen dann nicht rechtzeitig ist, wenn der Prozessbevollmächtigte Anhaltspunkte dafür hat, dass der Mandant nicht erreichbar sein könnte.[10]

 

Rz. 16

Zwar wird in § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO bezogen auf die Fristversäumung lediglich von "verhindert" gesprochen, erforderlich ist jedoch, dass die Verhinderung unverschuldet ist.[11] Anderenfalls würde § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO auch schon dann greifen, wenn der Rechtsanwalt mit der Bearbeitung nicht nachkommt.

 

Rz. 17

Ein Wiedereinsetzungsantrag muss nicht ausdrücklich gestellt werden; es ist ausreichend, wenn er konkludent in einem Schriftsatz enthalten ist.[12] Empfehlenswert ist eine solche Vorgehensweise für die Praxis jedoch nicht, schließlich heißt es in § 234 Abs. 1 ZPO, dass für die Wiedereinsetzung ein Antrag erforderlich ist. Zudem lässt sich trefflich darüber streiten, wann von einem "konkludenten" Antrag auszugehen ist und wann nicht. Diese Rechtsprechung sollte daher nur im Notfall herangezogen werden. Die Stellung eines konkreten Antrags wird daher angeraten, um jeden Zweifel auszuräumen.

 

Rz. 18

Wiedereinsetzung ist von Amts wegen zu gewähren, wenn zwar weder ein Antrag gestellt noch ein solcher durch Auslegung zu ermitteln ist, die versäumte Prozesshandlung jedoch fristgerecht nachgeholt und die Wiedereinsetzungsgründe entweder offensichtlich oder aktenkundig sind.[13]

 

Rz. 19

Zu einzelnen Fällen, die eine Wiedereinsetzung begründen, siehe auch § 22 Rdn 1 ff. und bei herkömmlicher Einreichung als Ersatzeinreichung siehe § 16 Rdn 1 ff. dieses Werks.

[5] BGH, Beschl. v. 9.12.2003 – VI ZB 26/03, NJW-RR 2004, 711 = VersR 2005, 138; BVerfGE 79, 372 = NJW 1989, 1147; BV...

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