Rz. 20

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung bleibt fraglich, wann der Abfindungsanspruch nach den §§ 9, 10 KSchG entsteht und unter welchen Umständen dieser für vererblich angesehen wird.

 

Rz. 21

Im Falle der §§ 9, 10 KSchG wird ein gerichtlicher Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses und Zahlung einer vom Gericht festzusetzenden Abfindung gestellt, weil eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Vertragsparteien unzumutbar ist. Der Auflösungszeitpunkt ist in § 9 Abs. 2 KSchG geregelt. Es ist der Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis bei sozial gerechtfertigter Kündigung ordnungsgemäß nach Ablauf der geltenden Kündigungsfrist geendet hätte.

 

Rz. 22

Nach der h.M. entsteht der Abfindungsanspruch mit der Festsetzung der Abfindungssumme durch das gerichtliche Urteil. Demzufolge ist bei rechtskräftigem Urteil der Anspruch auch vererblich.[28] Was aber geschieht, wenn zwar nach der ersten Instanz eine Abfindungssumme festgestellt wird, dieses Urteil nicht akzeptiert, über die Berufung angegriffen wurde und der Arbeitnehmer im Prozessverlauf verstirbt oder der Arbeitnehmer verstirbt nach dem nach § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Auflösungszeitpunkt, aber vor Erlass des Auflösungsurteils? Die herrschende Meinung geht davon aus, dass der Abfindungsanspruch dann dennoch übertragbar und zu bezahlen sei, denn durch die Einreichung der Klage sei ein Prozessverlauf in Gang gesetzt, in den die Erben eintreten können. Zeigt sich dann, dass der Anspruch begründet ist, so steht den Erben auch die Abfindung zu. Nach der BGH Rechtsprechung steht der gerichtlichen Auflösung mit Verurteilung zu einer Abfindungszahlung auch nicht entgegen, dass das Arbeitsverhältnis zwar erst nach dem in § 9 Abs. 2 KSchG zu bestimmenden Zeitpunkt, aber schon vor Erlass des Auflösungsurteils geendet hat (z.B. durch Tod des Arbeitnehmers). In diesem Fall hängt die Begründetheit des Auflösungsantrags nicht von den bei Erlass des Urteils vorliegenden Umständen ab, sondern es ist bei der anzustellenden Prognose über die zukünftige Entwicklung des Arbeitsverhältnisses auf den Zeitraum zwischen dem Termin zu dem die Kündigung erfolgt wäre und dem Beendigungstermin (hier Tod) abzustellen. Ist der Auflösungsantrag zu diesem Zeitraum begründet, entsteht der Abfindungsanspruch.[29]

 

Rz. 23

Die Gegenansicht argumentiert mit dem Wortlaut der §§ 9, 10 KSchG. Diese setzen für die Abfindungszahlung voraus, dass im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch ein Arbeitsverhältnis bestanden hat,[30] welches zugleich mit dem Urteilsspruch unter Nennung eines Beendigungsdatums aufgehoben wird. Verstirbt der Arbeitnehmer jedoch vorher, könne diese Voraussetzung gerade nicht mehr erfüllt werden und ein Abfindungsanspruch sei tatsächlich noch nicht – rechtskräftig – entstanden. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Auflösungsgründe zukunftsbezogen seien. Ob aber nun eine gedeihliche Zusammenarbeit in Zukunft zu erwarten sei oder nicht, lasse sich beim Tod des Arbeitnehmers nicht mehr ermitteln. Die Übertragbarkeit auf die Erben liege daher erst dann vor, wenn das Urteil rechtskräftig geworden sei.[31]

Die besseren Gründe sprechen nach hiesiger Auffassung bei dieser Fallkonstellation für eine vom Wortlaut losgelöste Prüfung, ob in dem Zeitraum zwischen dem Ablauf der Kündigungsfrist und dem Tod des Arbeitnehmers – allerdings nur bei Vorliegen einer begründeten sozial gerechtfertigten Kündigung – eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar bzw. eine gedeihliche betriebliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht mehr zu erwarten war. Auch im Falle des Eintritts der Erben in den laufenden Prozess nach der Antragstellung auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses, aber vor Rechtskraft bzw. Auflösungsurteil, kann das Arbeitsverhältnis bei Beendigung aus anderen Gründen (z.B. Tod) nach dem gemäß § 9 Abs. 2 KSchG zu ermittelnden Zeitpunkt mit Zahlung einer Abfindung zugunsten der Erben aufgelöst werden.

[29] Henssler/Willemsen/Kalb/Thüsing, § 613 Rn 12 m.w.N.; Ascheid/Preis/Schmid/Biebl, § 9 KSchG Rn 87 f., BAG, Urt. v. 23.2.2010 – 2 AZR 554/08, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 61.
[30] BAG, Urt. v. 20.3.1997 – 8 AZR 769/05, BB 1997, 1745.
[31] MüKo/Müller-Glöge, § 613 Rn 12.

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