Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Abfindungsvergleichs

 

Orientierungssatz

Streit über die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung einer in einem Aufhebungsvertrag zugesagten Abfindung bei Tod des Arbeitnehmers vor dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses (Bestätigung der Senatsurteile vom 16. Oktober 1969 - 2 AZR 373/68 - AP Nr 20 zu § 794 ZPO und vom 29. November 1984 - 2 AZR 588/83 - nicht veröffentlicht).

 

Normenkette

TVG § 4; BGB § 157; KSchG § 9; BGB §§ 133, 779; KSchG § 10

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 16.07.1986; Aktenzeichen 8 Sa 45/86)

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 18.03.1986; Aktenzeichen 2 Ca 606/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Abfindung an die Erben des früheren Arbeitnehmers G S (Erblasser) der Beklagten.

Der im Jahre 1941 geborene Erblasser war bei der Beklagten, einem Unternehmen der Metallindustrie, seit dem 1. September 1966 als technischer Außendienstmitarbeiter im Verkauf beschäftigt, zunächst in Berlin und seit 1971 bei ihrer Hamburger Niederlassung. Aus betriebsbedingten Gründen kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis Ende Oktober 1983 zum 31. März 1984. Am 15. November 1983 schlossen die Beklagte und der Erblasser folgende Vereinbarung:

"1. Das Arbeitsverhältnis wird im gegenseitigen

Einvernehmen unter Berücksichtigung der tariflichen

und gesetzlichen Kündigungsfristen

mit Ablauf des 31.3.1984 aufgelöst.

2. Für den Verlust des Arbeitsplatzes erhält Herr S

eine Abfindung im Rahmen des Kündigungsschutzgesetzes

§ 9 und 10 in Höhe von

45.000,-- DM. Davon sind 24.000,-- DM steuer- und

sozialversicherungsfrei.

3. Die Anwartschaft auf die O-Pension

bleibt von dieser Vereinbarung unberührt. Die

Rentenzahlung beginnt mit dem Anspruch auf

die Sozialversicherungsrente.

4. Herr S erhält den vollen Anspruch auf Urlaub,

Urlaubsgeld und Arbeitserfolgs- und

Treueprämie 1983.

5. Mit der Erfüllung dieser Vereinbarung sind

alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und

der Beendigung abgegolten. Herr S verzichtet

auf eine Kündigungsschutzklage gemäß

§ 4 Kündigungsschutzgesetzes."

Am 26. Dezember 1983 starb der Erblasser. Gesetzliche Erben sind seine Mutter E S, seine Brüder H (Kläger) und O S sowie seine Schwester K F.

Der Erblasser hatte bis zu seinem Tod zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiter gearbeitet.

Mit Schreiben vom 2. April 1984 forderte der Kläger die Beklagte zur Zahlung der Abfindung an seine Mutter mit der Begründung auf, der Anspruch seines Bruders sei auf die Erben übergegangen. Nachdem die Beklagte dieses mit Schreiben vom 4. Mai 1984 abgelehnt hatte, ließ der Kläger sie erneut mit Schreiben seines Rechtsanwalts vom 23. Mai 1984 zur Zahlung der Abfindung binnen zwei Wochen auffordern. Mit Schreiben vom 4. Juni 1984 lehnte die Beklagte die Zahlung der Abfindungssumme erneut ab.

Mit seiner am 30. Dezember 1985 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Zahlung der Abfindungssumme in Höhe von 45.000,-- DM an die Erbengemeinschaft verlangt. Er hat die Ansicht vertreten, die Pflicht der Beklagten zur Zahlung der Abfindung sei durch den Tod seines Bruders nicht berührt worden. Die Beklagte habe einen Rechtsstreit über die Sozialwidrigkeit der Kündigung vermeiden und hinsichtlich der fristgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 1984 sichergehen wollen. Irgendwelche Bedingungen oder Voraussetzungen könnten nicht in die Abrede hinein interpretiert werden. Mit der Erklärung seines Einverständnisses und dem damit verbundenen Klageverzicht habe der Erblasser seinen Gesamtbeitrag geleistet. Den von ihr angestrebten Zweck, nämlich nach dem 31. März 1984 frei disponieren zu können, habe die Beklagte mit dem Abschluß des Aufhebungsvertrages erreicht. Dem weiteren Schicksal des Erblassers komme in bezug auf die Abfindung keine Bedeutung zu. Die Abfindung sei bereits am 15. November 1983 fällig geworden; jedenfalls aber sei der Anspruch auf die Abfindung zu diesem Zeitpunkt entstanden, so daß er auch auf die Erben übergegangen sei.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Miterben

in ungeteilter Erbengemeinschaft nach

dem am 26. Dezember 1983 verstorbenen G S,

bestehend aus dem Kläger, Frau E S,

Frau K F und Herrn O S ,

DM 45.000,-- nebst 4 % Zinsen seit dem 9. Juni

1984 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat vorgetragen, bei Abschluß des Aufhebungsvertrages hätten sich zwei einander entgegengesetzte Positionen gegenübergestanden, nämlich das Bestreben nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einerseits und andererseits das Bestreben nach dessen Fortsetzung über den 31. März 1984 hinaus. Die Abfindungsvereinbarung habe unter der stillschweigenden Bedingung gestanden, daß der Erblasser den 31. März 1984 erleben würde. Mit dem Tod des Erblassers habe der Vertrag aber seine rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung verloren. In dem Fall, daß das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen - etwa wegen Vertragsbruchs - vor dem vereinbarten Austrittstermin geendet hätte, hätte nichts anderes gegolten. Die Abfindung sei auch erst am 31. März 1984 fällig gewesen. Würde man die Fälligkeit auf den 15. November 1983 vorverlegen, so wäre der Anspruch auf jeden Fall verfallen. Auf das Arbeitsverhältnis sei der Manteltarifvertrag für die Metallindustrie in Hamburg und Umgebung anwendbar, dessen § 16 für die schriftliche Geltendmachung eine Frist von drei Monaten nach Fälligkeit vorsehe. Für den Fall, daß es nicht auf den Hamburger, sondern auf den einschlägigen Berliner MTV ankomme, wäre nach dessen § 13 ebenfalls der Anspruch verfallen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen.

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Zwar ist die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der in dem Vertrag vom 15. November 1983 vereinbarten Abfindung nicht durch den Tod des Erblassers entfallen. Jedoch kann noch nicht abschließend beurteilt werden, ob der Abfindungsanspruch nicht wegen Versäumung einer tariflichen Ausschlußfrist verfallen ist.

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, mit dem Tod des Erblassers seien die beiderseitigen Rechte und Pflichten aus dem bis dahin fortbestehenden Arbeitsverhältnis und aus dem Aufhebungsvertrag entfallen. Die Pflicht der Beklagten zur Zahlung der Abfindung sei bereits am 15. November 1983 begründet worden, jedoch erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 1984 fällig geworden, wie den Umständen zu entnehmen sei. Der Aufhebungsvertrag, der einen Vergleich darstelle, sei zwar durch den Tod des Erblassers weder nach § 779 BGB noch wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage unwirksam geworden. Er sei jedoch unter der Bedingung abgeschlossen worden, daß das Arbeitsverhältnis bis zum 31. März 1984 ordnungsgemäß abgewickelt und nicht etwa aus anderen Gründen, wie etwa durch den Tod des Arbeitnehmers, vorzeitig beendet werde.

II. Dieser Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen.

1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, der Vertrag vom 15. November 1983 sei nicht gemäß § 779 Abs. 1 BGB unwirksam.

2. Nach dieser Vorschrift ist der Vergleich ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewißheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Mit dem Berufungsgericht ist davon auszugehen, daß der Vertrag vom 15. November 1983 einen Vergleich in diesem Sinne darstellt.

Die Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis des Erblassers Ende Oktober 1983 zum 31. März 1984 aus betriebsbedingten Gründen gekündigt. Die Arbeitsvertragsparteien haben daraufhin vor Ablauf der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG den vorliegenden Vertrag über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Kündigungszeitpunkt abgeschlossen. Daraus ist zu folgern, daß sie den Streit bzw. die Ungewißheit über den durch die Arbeitgeberkündigung in Frage gestellten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 31. März 1984 hinaus beseitigen wollten. Insoweit liegt auch ein gegenseitiges Nachgeben vor: Der Erblasser willigte in die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. März 1984 ein und verzichtete ausdrücklich auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Die Beklagte zahlte eine Abfindung und gewährte den vollen Anspruch auf Urlaub, Urlaubsgeld, Arbeitserfolgs- und Treueprämie für das Jahr 1983.

3. Nach § 779 Abs. 1 BGB wird ein Vergleich nur dann unwirksam, wenn der nach seinem Inhalt als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewißheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden wäre. Der Irrtum der Parteien muß sich somit auf einen streitausschließenden Umstand beziehen (vgl. MünchKomm-Pecher, 2. Aufl., § 779 BGB Rz 41; BGH NJW 1986, 1348, 1349). Der durch den Vergleich beigelegte Streit der Arbeitsvertragsparteien war jedoch durch die Kündigung der Beklagten entstanden. Er ging um die soziale Rechtfertigung dieser Kündigung und daher um eine von der Lebenserwartung des Erblassers unabhängige Frage (vgl. die Senatsurteile vom 16. Oktober 1969 - 2 AZR 373/68 - AP Nr. 20 zu § 794 ZPO, zu III der Gründe und vom 29. November 1984 - 2 AZR 588/83 - nicht veröffentlicht, zu II 3 a der Gründe).

4. Das Berufungsgericht hat den Vergleich jedoch dahin ausgelegt, er sei unter der Bedingung abgeschlossen worden, daß das Arbeitsverhältnis des Erblassers bis zum 31. März 1984 ordnungsgemäß abgewickelt und nicht aus anderen Gründen, wie etwa durch den Tod des Erblassers oder durch außerordentliche Kündigung, vorzeitig beendet werde. Diese Würdigung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Nicht zu beanstanden ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, bei der dem Erblasser angebotenen Abfindung von 45.000,-- DM handele es sich in erster Linie um den Preis für seine Bereitschaft, unter Verzicht auf eine gerichtliche Überprüfung der Kündigung in die Beendigung des Arbeitsverhältnisses einzuwilligen. Dieser Annahme stehe nicht entgegen, daß die Beklagte sich bei Festsetzung der Höhe der Abfindung auch von sozialen Gesichtspunkten habe leiten lassen.

b) Diese Ausführungen stehen allerdings im Widerspruch zu dem Senatsurteil vom 16. Oktober 1969 (aaO, zu III der Gründe). Der Senat hat in diesem Urteil für den insoweit vergleichbaren Fall eines Prozeßvergleichs die Ansicht vertreten, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und die Zahlung der Abfindung ließen sich nicht als im Gegenseitigkeitsverhältnis wechselseitig geschuldet ansehen. Diese Annahme scheitere bereits daran, daß die Auflösung des Arbeitsverhältnisses, auch wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt als dem der Vereinbarung vorgenommen werde, bereits ein zweiseitiger, quasi dinglicher Akt und keine einseitige Verpflichtungserklärung sei. Durch die beiderseits abgegebene Auflösungserklärung werde das Arbeitsverhältnis, wenn vielleicht auch zu einem späteren Zeitpunkt, aufgelöst; die Parteien verpflichteten sich hierzu nicht erst noch. Das Versprechen zur Zahlung einer Abfindung sei zwar obligatorisch. Diese Verpflichtung sei aber eine einseitige, ihr stehe keine entsprechende Verpflichtung auf eine Gegenleistung gegenüber.

c) Gegen diese Würdigung hat sich Götz Hueck gewandt (Anmerkung zu AP Nr. 20 zu § 794 ZPO, unter 2). Er hat ausgeführt, auf der Seite des Arbeitnehmers fehle in dem Vergleich eine schuldrechtliche Verpflichtung nur scheinbar, weil hier die für eine Gegenleistung durchaus geeignete Verpflichtung, in die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses einzuwilligen, mit ihrer Erfüllung durch Erklärung dieser Einwilligung zusammenfalle. Damit habe der Arbeitnehmer alles zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses Erforderliche bereits im Vergleich getan und damit vor seinem Tod wirksam erfüllt.

Diese Überlegungen hält der Senat für überzeugend. Er gibt deshalb insoweit seine in dem Urteil vom 16. Oktober 1969 vertretene entgegengesetzte Ansicht auf. Die Abfindung, die nach Maßgabe der §§ 9, 10 KSchG durch Gerichtsurteil zuerkannt wird, ist ein vermögensrechtliches Äquivalent für den Verlust des Arbeitsplatzes und hat somit Entschädigungsfunktion (KR-Becker, 2. Aufl., § 10 KSchG Rz 11 m.w.N.). Im Falle eines Vergleichs über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verliert sie zwar diesen Charakter nicht, stellt aber gleichzeitig auch eine Gegenleistung des Arbeitgebers für die Einwilligung des Arbeitnehmers in die Auflösung des Arbeitsverhältnisses dar, durch die eine gerichtliche Auseinandersetzung über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses vermieden bzw. (beim Prozeßvergleich) beendet wird.

d) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht den Vergleich jedoch dahin ausgelegt, auch das Erleben des vereinbarten Auflösungstermins durch den Erblasser sei als Bedingung für die Abfindung vereinbart worden.

aa) Das Berufungsgericht ist für seine Auslegung von dem Grundsatz ausgegangen, ein Arbeitnehmer, der mit dem Arbeitgeber über sein Ausscheiden ein Einvernehmen erziele und sich in diesem Zusammenhang eine Abfindung versprechen lasse, werde im allgemeinen davon auszugehen haben, daß die Abrede einschließlich der Abfindungszusage hinfällig werde, wenn er vor dem vereinbarten Vertragsende sterbe. Es dürfte im Normalfall eines Aufhebungsvertrags keinen vernünftigen Grund für die Annahme geben, daß der Arbeitgeber auch dann an der Zusage festhalten wolle, wenn das Arbeitsverhältnis aus einem anderen Grund ende.

Mit dieser Begründung kann das angefochtene Urteil bereits deshalb nicht gehalten werden, weil sie in Widerspruch zu den Ausführungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage steht. Dort hat das Berufungsgericht nämlich ausgeführt, es lasse sich nicht sagen, daß der Geschäftswille der Arbeitsvertragsparteien darauf beruht habe, der Erblasser werde den Auflösungstermin erleben. Bei Abschluß des Vergleichs sei dieser Umstand auch nicht zutage getreten. Es fehle in dieser Hinsicht an jeglichem Anhaltspunkt. Das Berufungsgericht ist insoweit zutreffend davon ausgegangen, daß die Geschäftsgrundlage gebildet wird durch die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, aber bei Vertragsabschluß zutage getretenen gemeinschaftlichen Vorstellungen beider Parteien oder die dem anderen Teil erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern der Geschäftswille der Partei auf diesen Vorstellungen aufbaut (vgl. BGH NJW 1985, 313, 314, m.w.N.). War das Erleben des Auflösungstermins durch den Erblasser jedoch nicht einmal bei Vergleichsabschluß erkennbare Grundlage für den Geschäftswillen der Vertragsparteien, so kann dieser Umstand noch weniger Bedingung und damit Inhalt des Vergleichs gewesen sein.

bb) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann aber auch nicht als Regelfall angenommen werden, der Arbeitnehmer müsse davon ausgehen, ein Abfindungsvergleich werde hinfällig, wenn er den Auflösungstermin nicht erlebe. Ein solcher Erfahrungssatz besteht nicht. Wie der Senat in dem Urteil vom 16. Oktober 1969 (aaO) ausgeführt hat, liegt eine gewisse Unsicherheit über die Lebensdauer des Vertragspartners bei der stets vom Tode bedrohten Existenz des Menschen ohnehin über allen von Menschen abgeschlossenen Verträgen. Da es ein Erbrecht gibt, hängt grundsätzlich der Fortbestand der Verträge nicht davon ab, wie lange der Vertragspartner lebt. Etwas anderes gilt nur, wenn das Erleben des Vertragspartners besonders vereinbart ist oder sich aus der Natur der Vereinbarung etwa als einer höchstpersönlichen Verpflichtung ergibt. Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.

cc) Das Berufungsgericht verweist für seine Auslegung zu Unrecht auf die nach seiner Ansicht vergleichbare Situation im Kündigungsschutzprozeß. Wenn der Arbeitnehmer, der Kündigungsschutzklage erhoben und einen Auflösungsantrag gestellt habe, vor dem Auflösungszeitpunkt sterbe, sei selbst dann kein Abfindungsanspruch entstanden, wenn bereits ein noch nicht rechtskräftiges Urteil erster Instanz vorliege, da der Abfindungsanspruch nicht für sich allein bestehen könne. Nichts anderes könne für einen Abfindungsvergleich gelten, auch wenn hier der Abfindungsanspruch bereits entstanden und nur noch nicht fällig sei. Zwar ist der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Auflösungszeitpunkt eine materiell-rechtliche Voraussetzung für das Auflösungsurteil (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 1960 - 2 AZR 79/59 - BAGE 10, 244 = AP Nr. 21 zu § 3 KSchG). Wird das Auflösungsurteil jedoch vor dem nach § 9 Abs. 2 KSchG zu bestimmenden Auflösungszeitpunkt rechtskräftig, wie dies bei langen Kündigungsfristen möglich ist, so entfällt die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung der im Urteil festgesetzten Abfindung selbst dann nicht, wenn der Arbeitnehmer vor dem Auflösungszeitpunkt stirbt. Mit diesem Fall eines vor dem Tode des Arbeitnehmers rechtskräftig gewordenen Auflösungsurteils ist aber der vor dem Tode des Arbeitnehmers rechtswirksam abgeschlossene Vertrag über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung vergleichbar (vgl. KR-Becker, aaO, § 9 KSchG Rz 33). Der rechtskräftig ausgeurteilte Abfindungsanspruch ist auch vererblich (KR-Becker, aaO, § 10 KSchG Rz 18).

dd) Das Berufungsgericht hat weiterhin darauf abgestellt, daß im Streitfall die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht mit sofortiger Wirkung bei Abschluß des Aufhebungsvertrags aufgehoben worden seien. Der Erblasser habe weiter arbeiten, die Beklagte Entgelt zahlen und Urlaub gewähren müssen. Die gegenseitigen Interessenwahrungspflichten hätten fortdauern sollen. Insoweit habe die Beklagte durchaus auch weiterhin ein Interesse am Schicksal des Erblassers gehabt. Darin liege ein wesentlicher Unterschied zu dem der Senatsentscheidung vom 16. Oktober 1969 (aaO) zugrunde liegenden Fall der Freistellung des Arbeitnehmers von weiterer Arbeitsleistung und des Wegfalls weiterer Vergütungsansprüche des Arbeitgebers bis zum Auflösungstermin.

Auch diese Umstände rechtfertigen jedoch nicht die Annahme des Berufungsgerichts, der Vergleich sei unter der Bedingung des Weiterlebens des Erblassers bis zum 31. März 1984 abgeschlossen worden. Zu diesem Ergebnis könnte man nur dann gelangen, wenn die Abfindungsvereinbarung in einem erkennbaren essentiellen Zusammenhang mit der Weiterarbeit des Erblassers bis zum Auflösungstermin stehen würde. Das ist jedoch nicht der Fall. Das Berufungsgericht läßt bei seiner Betrachtungsweise unberücksichtigt, daß bei Vergleichsabschluß die gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag bis zum Auflösungstermin, der dem Kündigungstermin entsprach, zwischen den Parteien nicht streitig waren. Dementsprechend bestand auch keine Notwendigkeit, hierüber eine vergleichsweise Regelung zu treffen. Insbesondere hing die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Abfindung nicht von der Verpflichtung des Erblassers ab, bis zum 31. März 1984 seine Arbeitsleistung zu erbringen. Gegenleistung für diese Verpflichtung des Erblassers war die Zahlung des Arbeitsentgelts, nicht jedoch die Zahlung der Abfindung. Insoweit kann auch nicht allein aus dem Umstand, daß der Erblasser seine Arbeitsleistung nach seinem Tode nicht mehr erbringen konnte, auf den Wegfall der Verpflichtung zur Abfindungszahlung geschlossen werden. Für den Inhalt des zur Beendigung des Streits über die soziale Rechtfertigung der Kündigung zum 31. März 1984 abgeschlossenen Aufhebungsvertrags waren die gegenseitigen Pflichten der Parteien bis zum Auflösungszeitpunkt unerheblich. Weitere Umstände, aus denen sich neben dem Interesse an der Vermeidung eines Kündigungsrechtsstreits noch ein besonderes Interesse gerade an der Weiterarbeit des Erblassers bis zu dem vereinbarten Auflösungstermin ergeben könnte (z.B. noch die Ausführung einer bestimmten Arbeit), sind nicht ersichtlich.

e) Legt man in dieser Weise den Vergleich aus, wozu das Revisionsgericht befugt ist, da der hierfür erforderliche Sachverhalt feststeht (vgl. Senatsurteil vom 16. Oktober 1969, aaO, m.w.N.), so ergibt sich, daß das Fortleben des Erblassers bis zu dem vereinbarten Auflösungstermin keine (stillschweigende) Bedingung für die Auszahlung der Abfindung war.

III. Der Vergleich ist auch nicht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage unwirksam geworden. Wie auch das Berufungsgericht angenommen hat und sich aus den vorstehend (unter II 4 d) gewürdigten Umständen ergibt, fehlen sachliche Anhaltspunkte für die Annahme, der Geschäftswille beider Arbeitsvertragsparteien habe zumindest darauf beruht, daß der Erblasser den vereinbarten Auflösungstermin erleben werde.

IV. Der Senat kann jedoch nicht abschließend entscheiden. Das Berufungsgericht muß noch prüfen, ob der Abfindungsanspruch nicht wegen Versäumung einer tariflichen Ausschlußfrist verfallen ist.

1. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht folgendes zu Protokoll erklärt:

"Auf das Arbeitsverhältnis ist der MTV für die

Metallindustrie in Hamburg und Umgebung anwendbar,

so daß die tarifliche Ausschlußfrist des

§ 16 zu beachten gewesen wäre. Danach gilt für

die schriftliche Geltendmachung eine Frist von

drei Monaten nach Fälligkeit. Würde man die Fälligkeit

der hier strittigen Abfindung auf den 15.

November 1983 vorverlegen, so wäre der Anspruch

auf jeden Fall verfallen. Sollte es nicht auf

den Hamburger, sondern auf den einschlägigen

Berliner MTV ankommen, so wäre nach § 13 ebenfalls

der Anspruch verfallen."

Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat daraufhin erklärt, sofern es hierauf ankommen sollte, bitte er um eine Frist zur Stellungnahme. In erster Linie bitte er aber um Zurückweisung des neuen Vorbringens als verspätet.

2. Auf das Arbeitsverhältnis des Erblassers könnte von seinem räumlichen Geltungsbereich sowohl der im Jahre 1979 abgeschlossene MTV für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte im Tarifgebiet Hamburg und Umgebung (künftig: MTV Hamburg) als auch der Manteltarifvertrag für die Angestellten in der Berliner Metallindustrie vom 12. Februar 1979 bzw. 4. Juli 1984 (künftig: MTV Berlin) anwendbar sein, da die Beklagte ihren Sitz in Berlin hat, der Erblasser jedoch zuletzt bei der Hamburger Niederlassung beschäftigt war. Beide Tarifverträge sehen für die Geltendmachung von Ansprüchen Ausschlußfristen vor (§ 16 MTV Hamburg, § 13 MTV Berlin).

3. Allerdings wäre der Anspruch zumindest nach dem MTV Hamburg zunächst mit dem Schreiben des Klägers vom 2. April 1984 rechtzeitig geltend gemacht worden. Nach § 16 Nr. 1.1 b sind mit Ausnahme der Ansprüche auf Zuschläge alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit geltend zu machen, sofern es sich nicht um Zuschläge handelt.

a) Zwar sind tarifliche Ausschlußfristen auf Abfindungsansprüche, die in einem gerichtlichen Vergleich vereinbart werden, nicht anwendbar (BAGE 37, 274 = AP Nr. 7 zu § 9 KSchG 1969, zu III der Gründe). Gleiches gilt für die Vereinbarung in einem außergerichtlichen Vergleich (Senatsurteil vom 22. Januar 1987 - 2 AZR 98/86 - nicht veröffentlicht). Der Erblasser hätte demgemäß im Erlebensfall den Anspruch nicht mehr fristgebunden geltend machen müssen. Im Streitfall ist jedoch nach Vergleichsabschluß gerade durch den Tod des Arbeitnehmers vor dem vereinbarten Auflösungstermin und damit aufgrund eines nach Vergleichsabschluß eingetretenen Umstands eine erneute Ungewißheit über den Fortbestand des Abfindungsanspruchs entstanden. Die Erben als nunmehrige Gläubiger konnten deshalb nicht mehr im Hinblick auf den Vergleich darauf vertrauen, die Beklagte habe ihre Verpflichtung anerkannt und werde sie erfüllen.

b) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, den Umständen sei zu entnehmen, daß die Abfindungszahlung erst zum 31. März 1984 fällig geworden wäre. Die Abfindung habe nämlich ihrer Entschädigungsfunktion entsprechend für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt werden sollen. Der Arbeitsplatz sollte dem Erblasser jedoch erst am 31. März 1984 verloren gehen. Mangels anderweitiger Vereinbarung werde man einen Aufhebungsvertrag dahin auslegen müssen, daß die in ihm vereinbarte Abfindung aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich erst mit dessen rechtlicher Beendigung fällig werde.

Diese Auslegung des Aufhebungsvertrages ist möglich und daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. auch LAG Köln, DB 1984, 568). Die Revision hat sich auch gegen diese Auslegung nicht gewandt, sondern die Ansicht vertreten, für die Entscheidung des Rechtsstreits sei es unerheblich, wann die Fälligkeit der am 15. November 1983 entstandenen Abfindungsforderung eingetreten sei.

c) Die Beklagte vertritt zu Unrecht die Ansicht, der Kläger habe mit seinem Schreiben vom 2. April 1984 die Ausschlußfrist deshalb nicht gewahrt, weil die Forderung nur von der Erbengemeinschaft hätte geltend gemacht werden können. Sie übersieht, daß in dem Schreiben vom 2. April 1984 eine derartige Geltendmachung liegt. Der Kläger vertritt darin der Beklagten gegenüber die Ansicht, daß der Anspruch auf d i e Erben übergegangen sei und bittet um die Überweisung auf das Konto seiner Mutter, die ebenfalls Miterbin ist. Darin liegt die gemäß § 2039 BGB notwendige Aufforderung des Klägers, die Abfindung an die Erben zu zahlen.

4. Ist auf das Arbeitsverhältnis der MTV Berlin anwendbar, könnte schon fraglich sein, ob durch die Geltendmachung am 2. April 1984 die Ausschlußfrist des § 13 MTV Berlin gewahrt ist. Nach § 13 Nr. 1 MTV Berlin sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Frist von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit, jedoch spätestens innerhalb von zwei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen. Da der Erblasser am 26. Dezember 1983 verstorben ist, ist auch das Arbeitsverhältnis zu diesem Termin beendet worden. Insoweit könnte die tarifliche Zweimonatsfrist bereits am 26. Februar 1984 abgelaufen, die erstmalige Geltendmachung des Anspruchs in dem Schreiben des Klägers vom 2. April 1984 somit verspätet sein.

5. Letztlich kann diese Frage jedoch dahinstehen. Nach beiden Tarifverträgen ist zur rechtzeitigen Geltendmachung die gerichtliche Geltendmachung innerhalb eines bestimmten Zeitraums (drei Monate bzw. sechs Wochen) nach schriftlicher bzw. formloser Ablehnung des Anspruchs durch den Arbeitgeber erforderlich. Da die Beklagte den Anspruch letztmals mit Schreiben vom 4. Juni 1984 abgelehnt, der Kläger jedoch erst am 30. Dezember 1985 beim Arbeitsgericht Klage eingereicht hat, könnte der Anspruch bei Anwendbarkeit beider Tarifverträge erloschen sein.

6. Das Berufungsgericht wird daher Feststellungen zur Anwendbarkeit der in Betracht kommenden Tarifverträge zu treffen haben. Zwar ist insoweit der Vortrag der Beklagten unsubstantiiert, da sie nicht vorgetragen hat, aufgrund welcher Umstände der eine oder andere Tarifvertrag zur Anwendung kommen soll. Das Berufungsgericht hatte jedoch nach der von ihm zur Auslegung des Vergleichs vertretenen Ansicht keine Veranlassung, auf die Anwendbarkeit der Tarifverträge einzugehen.

Hillebrecht Triebfürst

zugleich für den durch

Urlaub an der Unterschrift

verhinderten Richter Ascheid

Timpe Nipperdey

 

Fundstellen

Haufe-Index 437994

BB 1988, 1392-1393 (T)

DB 1988, 864-865 (T)

NJW 1988, 2638

NJW 1988, 2638 (L1)

NZA 1988, 466-468 (ST1)

RzK, I 9j Nr 5 (ST1)

EzA § 9 nF KSchG 1969, Nr 23 (ST1-2)

PERSONAL 1988, 423-423 (T)

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