Rz. 1

Vorsorgevollmachten dienen der Absicherung für den Fall der Geschäftsunfähigkeit. Dies belegt bereits ein Blick auf § 1814 Abs. 3 S. 1 BGB (§ 1896 Abs. 2 S. 2 BGB a.F.): Durch eine Bevollmächtigung kann die Bestellung eines Betreuers vermieden und dadurch das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen gewahrt werden.[1] Diesem Selbstbestimmungsrecht kommt im unternehmerischen Bereich eine besondere Bedeutung zu. Denn die Bestellung eines Betreuers für einen Gesellschafter kann für die Gesellschaft und die Mitgesellschafter äußerst nachteilige Konsequenzen haben.

[1] BT-Drucks 11/4528, S. 122; Schäfer, ZHR 2011, 557, 558.

I. Gesellschaftsrechtliche Risiken einer Betreuung

 

Rz. 2

Zu den unliebsamen Folgen einer Betreuung gehört, dass der Betreuer die organisatorischen Mitgliedschaftsrechte und – soweit möglich (siehe Rdn 9) – sogar Geschäftsführungsaufgaben des betreuten Mitgesellschafters wahrnimmt.[2] Obwohl der Betreuer zum Unternehmen und den übrigen Gesellschaftern keine persönliche Beziehung hat und über keine spezifischen Fachkenntnisse verfügen muss,[3] haben die Mitgesellschafter auf seine Auswahl keinen Einfluss.[4] Insbesondere kann die Wahrnehmung von Gesellschafterrechten durch Betreuer nicht durch den Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werden.[5] Von Betreuungsgerichten bestellte Betreuer sind nicht selten unternehmerisch unerfahren und werden von Betreuungsrichtern ausgewählt, welche regelmäßig ebenfalls nicht über unternehmerische Erfahrung verfügen.[6] Bei seinem Handeln innerhalb der Gesellschaft ist der Betreuer auch nicht frei; er ist kein Unternehmer sondern nach gesetzlichem Leitbild ein Vermögensverwalter,[7] welcher bereits zur Vermeidung eigener Pflichtverletzungen riskante unternehmerische Entscheidungen nicht oder jedenfalls mit gebotener Zurückhaltung treffen wird. Denn welche Sorgfaltspflichten den Betreuer bei unternehmerischen Entscheidungen treffen, ist nicht abschließend geklärt.[8]

 

Rz. 3

Für bestimmte Geschäfte bedarf der Betreuer zudem der Genehmigung des Betreuungsgerichts.[9] Zu den genehmigungsbedürftigen Geschäften gehören die Gründung von Unternehmen und der Beteiligungserwerb nach § 1852 Nr. 1 und 2 BGB (§ 1822 Nr. 3 BGB a.F.). Die Einholung der Genehmigung kann zu unliebsamen – bis hin zu existenzbedrohenden – zeitlichen Verzögerungen führen.[10] Denn bis zur Bestellung eines Betreuers kann keine Gesellschafterversammlung einberufen werden und dennoch gefasste Beschlüsse sind nichtig.[11] Die Einholung betreuungsgerichtlicher Genehmigungen ist zudem mit nicht unerheblichem Kosten- und vor allem Begründungsaufwand verbunden.[12]

 

Rz. 4

Der aus unternehmerischer Sicht unliebsamen Bestellung eines Betreuers durch Erteilung einer umfassenden Vorsorgevollmacht zu begegnen, liegt auf der Hand.[13] Bevor auf die Frage der Zulässigkeit von Vorsorgevollmachten eingegangen werden kann (siehe Rdn 9 ff.) ist zu klären, wann eine Vertretung durch einen Vorsorgebevollmächtigten im unternehmerischen Bereich überhaupt in Betracht kommt. Hierzu sind die gesellschaftsrechtlichen Folgen einer dauernden Geschäftsunfähigkeit zu untersuchen (siehe Rdn 5 ff.).

[2] Holtwiesche, RFamU 2022, 118, 120; v. Proff, DStR 2020, 1380, 1383; Münch, Unternehmerehe, § 16 Rn 2 ff.; Wedemann, ZIP 2013, 1508.
[3] Baumann/Selzener, RNotZ 2015, 605.
[4] Wilde, GmbHR 2010, 123; Wedemann, ZIP 2013, 1508; zum Auswahlverfahren vgl. v. Proff, DStR 2020, 1380, 1381.
[5] BGH v. 21.6.1965 – II ZR 68/63, BGHZ 44, 98 (zum Gebrechlichkeitspfleger); v. Proff, DStR 2020, 1380, 1383; Jocher, notar 2014, 3, 4.
[6] Heckschen, NZG 2012, 10, 13; Baumann/Selzener, RNotZ 2015, 605; v. Proff, DStR 2020, 1380, 1383.
[7] Baumann/Selzener, RNotZ 2015, 605.
[8] Scholz, FamRZ 2020, 1693.
[9] Umfassend hierzu: Eble, RNotZ 2021, 117.
[10] Münch, Unternehmerehe, § 16 Rn 42; Wilde, GmbHR 2010, 123; Wedemann, ZIP 2013, 1508.
[11] Münch, Unternehmerehe, § 16 Rn 42.
[12] Münch, Unternehmerehe, § 16 Rn 42.
[13] Zur möglichen steuerlichen Konsequenz einer Betriebsaufspaltung durch Vorsorgevollmacht vgl. Bochmann/Bron/Staake, BB 2020, 1367, 1372.

II. Gesellschaftsrechtliche Folgen bei Geschäftsunfähigkeit

 

Rz. 5

Die gesellschaftsrechtlichen Folgen einer dauernden Geschäftsunfähigkeit und die Beantwortung der Frage, ob eine Vertretung durch einen Vorsorgebevollmächtigten überhaupt in Betracht kommt, hängen davon ab, ob eine Personen- oder Kapitalgesellschaft vorliegt und ob ein Leitungsorgan (Geschäftsführer/Vorstand) oder ein Gesellschafter ohne Leitungsfunktion dauerhaft geschäftsunfähig wird. Grundsätzlich ist wie folgt zu differenzieren:

1. Geschäftsunfähige Leitungsorgane einer Kapitalgesellschaft

 

Rz. 6

Wird ein Geschäftsführer oder Vorstand einer Kapitalgesellschaft geschäftsunfähig, führt dies von Rechts wegen zum sofortigen Amtsverlust; einer Abberufung bedarf es nicht.[14] Denn Geschäftsführer oder Vorstand einer Kapitalgesellschaft kann nur sein, wer unbeschränkt geschäftsfähig ist (vgl. § 6 Abs. 2 S. 1 GmbHG, § 76 Abs. 3 S. 1 AktG). Die Frage einer Vertretung von geschäftsunfähigen Leitungsorgangen durch Vorsorgebevollmächtigte stellt sich im Kapitalgesellschaftsrecht mithin nicht.

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