Rz. 274

Wird die entsprechende Bescheinigung über die Ehegattenvertretung erteilt, wird eine Vertretung durch den vertretenden Ehegatten ermöglicht, obwohl keine entsprechende Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung vorliegen, oder aber eine Betreuung eingerichtet worden ist.

1. Aufklärungspflicht des Arztes

 

Rz. 275

Die Aufklärungspflicht des Arztes gegenüber dem vertretenen Ehegatten gem. §§ 630d, 630e BGB besteht nunmehr auch gegenüber dem vertretenden Ehegatten.[375] Sobald der vertretene Ehegatte seine Angelegenheiten wieder besorgen kann, müssen die Ärzte umgehend mit diesen sprechen.

Der vertretene Ehegatte kann gem. § 630e Abs. 3 BGB auf die Aufklärung durch einen Arzt verzichten. Dies ist seinem Vertreter nicht möglich.[376]

[375] Grüneberg/Siede, § 1358 Rn 11.
[376] Grüneberg/Weidenkaff, § 630e Rn 12.

2. Schweigepflichtentbindung des Arztes (§ 1358 Abs. 2 BGB)

 

Rz. 276

Solange die Voraussetzungen des § 1358 Abs. 1 BGB vorliegen, sind die Ärzte gem. § 1358 Abs. 2 BGB von ihrer Schweigepflicht gegenüber dem vertretenden Ehegatten in den Angelegenheiten, in denen dieser vertretende Ehegatte vertretungsbefugt ist, entbunden. Die Entbindung der Schweigepflicht erfasst auch die Einsicht in die Krankenunterlagen sowie die Bewilligung der Weitergabe an Dritte. Aufgrund dessen kann sich der vertretende Ehegatte mit externen Ärzten kurzschließen, sich entsprechend beraten lassen und die Weitergabe der Unterlagen bewilligen.[377]

Problematisch ist, dass die Schweigepflichtentbindung lediglich gegenüber Ärzten möglich ist. Die Schweigepflichtentbindung bezieht sich nicht explizit auf Angehörige anderer Heilberufe, Gehilfen, Therapeuten oder Pflegekräfte.[378]

[377] Grüneberg/Siede, § 1358 Rn 11; Kurze, Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht, § 10 Rn 41.
[378] Grüneberg/Siede, § 1358, Rn 6; Lugani, MedR 2022, 91, 97; Dutta, FamRZ 2020, 1881; Spickhoff, FamRZ 2022, 1897, 1904; a.A. MüKo/Roth, § 1358 Rn 8.

3. Vertretungsbefugnis in Gesundheitsangelegenheiten (§ 1358 Abs. 1 Nr. 1 BGB)

 

Rz. 277

Der vertretende Ehegatte kann als Vertreter gem. § 1358 Abs. 1 Nr. 1 BGB in Gesundheitsuntersuchungen, Heilbehandlung oder ärztliche Eingriffe einwilligen bzw. die Maßnahmen untersagen und die ärztliche Aufklärung entgegennehmen.

Von dem Vertretungsrecht sollen nicht nur Entscheidungen betreffend die Erkrankung erfasst werden, aufgrund derer das Vertretungsrecht eingeräumt worden ist, sondern auch für solche Erkrankungen, deren Behandlung aus medizinischer Sicht notwendig und unaufschiebbar sind. Der Gesetzgeber schränke dies jedoch ein, dass lediglich erstmals diagnostizierte Erkrankung hiervon erfasst worden sind. Laut Kurze ist dies jedoch kritisch zu betrachten.[379]

Eine Vertretung, welche nicht dem Willen des vertretenen Ehegatten entspricht, ist unzulässig, die Bestellung eines Betreuers unumgänglich. In eilbedürftigen Fällen sollte der Arzt nicht entgegen den von ihm vermuteten mutmaßlichen Willen des vertretenen Ehegatten handeln.[380]

[379] Kurze führt hierzu aus, dass dies aus den Gedanken folgt, dass bei früherer Diagnostizierung der vertretende Ehegatte selbst entschieden hat, eine Behandlung nicht durchzuführen. Dies sei jedoch kritisch zu betrachten, da die Situation sich verändert hat und ein Limitieren des Vertretungsrechts in der Praxis hinderlich betreffend eine umfassenden Behandlung des vertretenen Ehegatten wäre. Darüber hinaus sei der vertretende Ehegatte an den Willen des vertretenen Ehegatten gebunden. Sollten sich die diesbezüglichen Umstände, welche eine Ablehnung der Heilbehandlung durch den vertretenen Ehegatten nach sich zog, nicht geändert haben, so darf der vertretende Ehegatte in diese Heilbehandlung nicht einwilligen. Der mutmaßliche Wille des Ehegatten hat gem. § 630d Abs. 1 S. 4 BGB immer Vorrang, vgl. Kurze, Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht, § 10 Rn 44, 45.
[380] Kurze, Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht, § 10 Rn 45.

4. Vertragsschlüsse (§ 1358 Abs. 1 Nr. 2 BGB)

 

Rz. 278

Der vertretende Ehegatte kann Behandlungsverträge (§ 630a BGB), Krankenhausverträge oder Verträge über eilige Maßnahmen der Rehabilitation und der Pflege abschließen und durchsetzen gem. § 1358 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Es wird jedoch bei den Maßnahmen der Rehabilitation und Pflege die Eilbedürftigkeit gefordert, so dass hierrunter tatsächlich nur die ersten Rehabilitationsmaßnahmen fallen. Für weitere in der Zukunft umfassende Rehabilitationsmaßnahme wäre die Anordnung einer Betreuung durch das Betreuungsgericht erforderlich.

Zu den von dem vertretenden Ehegatten abzuschließenden Verträgen soll nicht der Abschluss einen Heimvertrages zählen.[381] Hintergrund ist, dass das Ehegattenvertretungsrecht keine Befugnis betreffend der Aufenthaltsbestimmung und Wohnungsangelegenheiten gibt.[382]

[381] Kraemer, BtPrax 2021, 208, 209; Lugani, MedR 2022, 91, 96; Spickhoff, FamRZ 2022, 1897, 1902; diskutierend: Szantay, NZFam 2021, 805, 807; kritisch: Kurze, Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht, § 10 Rn 47.
[382] Kraemer, BtPrax 2021, 208, 209.

5. Freiheitsentziehende Maßnahmen (§ 1358 Abs. 1 Nr. 3 BGB)

 

Rz. 279

Der vertretende Ehegatte darf Maßnahmen, welche die Freiheit des vertretenen Ehegatten durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise einschränken...

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