Rz. 176

Den inhaltlichen Maßstab für sämtliche Handlungen des Betreuers bestimmt der § 1821 BGB, welcher die zentrale Norm des Betreuungsrechts ist. Durch diese soll die Wahrung und Verwirklichung der Selbstbestimmung des Betreuten gewährleistet werden.[249] Mit der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts wurde der Begriff des Wohls gestrichen, die Wünsche und der Wille des Betreuten sollen nunmehr festgestellt und erfüllt werden. Es ist somit nicht mehr subsidiär. Aus § 1821 Abs. 1 BGB ist somit zu lesen, dass die Selbstbestimmung des Betreuten Vorrang haben soll und der Betreuer ein Unterstützender sein soll.[250]

Der Betreuer hat nach § 1821 Abs. 2 BGB (§ 1901 Abs. 2 BGB a.F.) den von dem Betreuten geäußerten Wünschen, seien dies vor der Betreuung geäußerte, an denen er festhalten will, oder aktuell geäußerte Wünsche, zu entsprechen und somit dessen Leben im Rahmen seiner Möglichkeiten nach dessen Wünschen zu gestalten. Der Betreuer hat die Wünsche festzustellen und vorbehaltlich § 1821 Abs. 3 BGB zu erfüllen und bei deren Umsetzung rechtlich zu unterstützen. Hierbei hat der Betreuer stets den persönlichen Kontakt zu seinem Betreuten zu suchen. Ist der Wunsch nicht zu ermitteln ist gemäß § 1821 Abs. 4 BGB der mutmaßliche Wille des Betreuten zu ermitteln, wobei auch die Befragung u.a. nahestehender Personen erfolgen soll.[251]

 

Rz. 177

Eine Bindung besteht somit insoweit, als der Wunsch vorbehaltlich § 1821 Abs. 3 BGB keine durch den Betreuten für diesen oder dessen Vermögen nicht realisierte erhebliche persönlich oder wirtschaftliche Gefährdung bedeutet oder die Erfüllung des Wunsches unzumutbar für den Betreuer ist. Es zählt allein der Wunsch des Betreuten, wobei es unerheblich ist, ob dieser Wunsch nach einem objektiven Maßstab vernünftig ist, ob der Betreute geschäftsfähig ist, unabhängig in welcher Form dieser geäußert wird und wer der Adressat der erfolgten Äußerung ist. Der Wunsch muss jedoch innerhalb der Möglichkeiten des Betreuten realisierbar sein, d.h. es müssen die persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Ressourcen vorhanden sein. Damit nicht vereinbare Wünsche muss der Betreuer nicht erfüllen. Bei der Beurteilung der Unvereinbarkeit kommt es jedoch allein auf die Voraussetzungen des § 1821 Abs. 3 Nr. 1 BGB an.[252] Hilfe zu einer klaren Selbstschädigung muss und darf der Betreuer nicht leisten.[253] Ob die Erfüllung des Wunsches (früher dem Wohl) des Betreuten zuwiderläuft, hat der Betreuer zu beurteilen. Der Betreute soll sein Leben nach eigenen Wünschen und Vorstellungen gestalten können. Wenn die Verwirklichung des Wunsches die Rechtsgüter des Betreuten gefährdet, die im Rang über den vom Wunsch verfolgten Interessen stehen, ist dieser nicht zu befolgen. Ferner sind solche Wünsche nicht bindend, die die gesamte Lebens- und Versorgungssituation des Betreuten merklich verschlechtern würden.[254]

 

Rz. 178

Ist die Befolgung eines Wunschs dem Betreuer nicht zuzumuten, beispielsweise weil dessen Erfüllung einen unangemessen hohen Zeitaufwand erfordert, das Handeln rechtswidrig wäre oder es sich um eine Beteiligung an einer erheblichen Selbstschädigung des Betreuten handelt,[255] braucht dieser einen solchen nicht zu befolgen.

 

Rz. 179

Bezüglich Heilbehandlungen bzw. deren Abbruch gilt, dass der Betreuer an einen im Rahmen der Betreuungsverfügung manifestierten Wunsch gebunden ist, sofern keine widersprechende aktuellere Äußerung des Betreuten vorliegt. Unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit, die sich aus der Sicht des Betreuers bestimmt, kann die Bindungswirkung bzgl. des Wunsches auf Behandlungsabbruch jedoch entfallen.[256]

 

Rz. 180

Wurde eine Anweisung an einen Betreuer im Rahmen einer isoliert abgefassten Patientenverfügung erteilt, so ist dieser entsprechend der für die Bindungswirkung für Patientenverfügungen geltenden Grundsätze zur Wunschbefolgung verpflichtet (vgl. Rdn 227 ff.). Eine Patientenverfügung an den behandelnden Arzt ist gleichzeitig eine Betreuungsverfügung, die den Betreuer verpflichtet, anhand der vorgegebenen Leitlinien zu entscheiden.[257]

 

Rz. 181

Die Befolgung der Wünsche des Betreuten ist eine Rechtspflicht für den Betreuer. Verstöße dagegen betreffen zunächst jedoch nur das Innenverhältnis zwischen Betreuer und Betreutem, da die vom Wunsch des Betreuten abweichenden Entscheidungen des Betreuers im Außenverhältnis wirksam sind. Insoweit unterliegt er aber der Kontrolle des Betreuungsgerichts nach § 1862 BGB (§ 1837 Abs. 2 und 3 BGB a.F. i.V.m. § 1908i Abs. 1 S. 1 BGB a.F.). Eine wiederholte Vernachlässigung der Wünsche des Betreuten kann Zweifel an der Eignung des Betreuers begründen. Das Gericht kann den Betreuer beeinflussen, darf sich aber nicht an dessen Stelle setzen. Es erlässt somit geeignete Gebote und Verbote, um der Pflichtwidrigkeit entgegenzuwirken, die Verhängung eines Zwangsgeldes ist möglich. Die Entlassung des Betreuers ist lediglich gemäß § 1868 BGB möglich.[258]

[249] Grüneberg/Götz, § 1821 Rn 1.
[250] Kersting, BtPrax 2021, 203.
[251] Grüneberg/Gö...

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