Rz. 533

Die Schadenrechtsreform ersetzte in § 7 Abs. 2 StVG das "unabwendbare Ereignis" durch den Einwand der "höheren Gewalt".

 

Rz. 534

Die Ersatzpflicht des Fahrzeughalters ist nur noch ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird. "Höhere Gewalt" bedeutet[468] ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, dass nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist.

 

Rz. 535

 

Beispiel 2.2

Zwei Fahrzeuge (V und B) kollidieren im Gegenverkehr. Im Fahrzeug V sitzen neben dem Fahrer V dessen Ehefrau F und deren gemeinsame Kinder X und Y.

Der Unfall ist von B verschuldet. V trifft kein Verschulden, V kann aber den Einwand höherer Gewalt nicht erfolgreich bringen.

1.

Unfall bis 31.7.2002

a)

Haftung des B

B haftet V, F und deren Kindern auf Schadensersatz (100 % BGB).

b)

Haftung des V

Da V mangels Verschulden (§ 8a I 1 StVG a.F.) keine Haftung gegenüber seinen Fahrzeuginsassen (F, X, Y) trifft, können die Eltern V und F ihre Kinder gegenüber B vertreten.

2.

Unfall ab 1.8.2002

a)

Haftung des B

B haftet V, F und deren Kindern auf Schadensersatz (100 % BGB).

b)

Haftung des V

V haftet, da das Insassenprivileg für Unfälle ab 1.8.2002 weggefallen ist (§§ 8, 8a StVG), auch gegenüber seinen Insassen (F, X, Y) auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden nach dem StVG (100 % StVG). Die Eltern (V und F) können ihre Kinder nicht hinsichtlich deren Ansprüche vertreten, wenn der Anspruch von X und Y jeweils mehr als 3.000 EUR wert ist.

Zur anwaltlichen Interessenkollision siehe Rdn 740 ff.

c)

Gesamtschuld

Es besteht Gesamtschuld von V und B, wobei im Innenausgleich nach § 17 StVG B den Schaden alleine zu tragen hat.[469]

 

Rz. 536

Die Haftung kann außerhalb (§ 8a S. 1 StVG) der entgeltlichen, geschäftsmäßigen Personenbeförderung durch private Abrede abbedungen werden,[470] wobei eine wirksame Verzichtserklärung auch zugunsten des (für den Schädiger eintrittspflichtigen) Haftpflichtversicherers wirkt.[471] Für Minderjährige ist zu beachten, dass ein vertraglicher Haftungsausschluss oder eine Haftungsminderung der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter bedarf.[472]

 

Rz. 537

Eltern können nicht im Voraus ihre Haftung gegenüber ihren Kindern ausschließen. Siehe ergänzend zu den Konsequenzen elterlichen Fehlverhaltens Rdn 298 ff.

[468] BR-Drucks 742/01 v. 28.9.2001, S. 71; KG v. 9.4.2001 – 12 U 8410/99 – NZV 2001, 426. Ausführlich zum Begriffsinhalt mit Rechtsprechungsnachweisen AG Brandenburg v. 13.1.2017 – 31 C 71/16 – BeckRS 2017, 100142 = DAR 2017, 322 (juris Rn 42 ff.).
[469] Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke-Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, § 840 BGB Rn 27 ff.
[470] Zum Thema: Jahnke, Haftungs- und Verschuldensbeschränkungen bei der Abwicklung von Haftpflichtfällen, VersR 1996, 294 (S. 299 ff.).
[471] OLG Koblenz v. 22.4.1986 – 12 W 227/86 – VersR 1987, 1149 (nur Ls.) = zfs 1987,130. Siehe auch Österreichischer OGH v. 22.11.1995 – 7 Ob 16/95 – VersR 1997, 91.
[472] BGH v. 25.3.1958 – VI ZR 13/57 – VersR 1958, 377.

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