Rz. 158

Eine grobe Fehlerhaftigkeit liegt nicht vor, wenn eine ausgewogene Personalstruktur geschaffen oder erhalten wird. Der Begriff der ausgewogenen Personalstruktur lässt dem Arbeitgeber einen weiten Ermessensspielraum. Streitig ist aber, ob er gerichtlich voll nachprüfbar ist.[140]

 

Rz. 159

Dies gilt auch für die Herausnahme von Arbeitnehmern aus einer Vergleichsgruppe jedenfalls insoweit, als dies gem. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Hs. 2 InsO dem Erhalt oder der Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur dient. Grob fehlerhaft i.S.v. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO ist eine soziale Auswahl, wenn ein evidenter Fehler vorliegt und der Interessenausgleich, insbesondere bei der Gewichtung der Auswahlkriterien, jede Ausgewogenheit vermissen lässt.[141]

 

Rz. 160

Die Bildung von Altersgruppen bei der einem Interessenausgleich mit Namensliste nach § 125 InsO zugrunde liegenden Sozialauswahl als solche verletzt das Verbot der Altersdiskriminierung nicht und ist deshalb nicht nach § 7 Abs. 1, Abs. 2 AGG i.V.m. §§ 1, 3 Abs. 2 AGG unwirksam. Ein im Allgemeininteresse liegendes legitimes Ziel aus dem Bereich der Sozialpolitik, das die Benachteiligung älterer Arbeitnehmer durch eine Altersgruppenbildung rechtfertigt, liegt auch dann vor, wenn die Sozialauswahl nach Altersgruppen dazu dienen soll, den Betrieb aus der Insolvenz heraus verkaufsfähig zu machen.[142]

 

Rz. 161

Die gesetzliche Vorgabe in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG, das Lebensalter als eines von mehreren Kriterien bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen, und die durch § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG eröffnete Möglichkeit, die Auswahl zum Zweck der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur innerhalb von Altersgruppen vorzunehmen, verstoßen nicht gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und dessen Ausgestaltung durch die Richtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000.[143]

 

Rz. 162

Auch die durch § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO im Insolvenzverfahren eröffnete Möglichkeit der Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur durch Bildung von Altersgruppen verletzt das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung nicht. Sie ist durch das Ziel der Sanierung eines insolventen Unternehmens gerechtfertigt.[144] Die Arbeitsgerichte haben aber zu prüfen, ob die Altersgruppenbildung im konkreten Interessenausgleich gemäß § 10 AGG gerechtfertigt ist. Der kündigende Insolvenzverwalter ist darlegungs- und beweispflichtig für die sanierungsbedingte Erforderlichkeit der Altersgruppenbildung.

 

Rz. 163

Das BAG hat jedoch die Voraussetzungen für die Bildung solcher Altersstrukturgruppen inzwischen noch einmal präzisiert und teilweise verschärft:[145] § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG gestattet zwar die Vornahme der Sozialauswahl im Rahmen von Altersgruppen, wenn dies zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur der Belegschaft im betrieblichen Interesse liegt. Eine solche Ausnahme von dem Grundsatz des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG, dass die Sozialauswahl innerhalb der gesamten Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer stattzufinden hat, ist aber nur gerechtfertigt, wenn innerhalb der Vergleichsgruppe nach sachlichen Kriterien Altersgruppen gebildet werden, die prozentuale Verteilung der Belegschaft auf die Altersgruppen festgestellt und die Gesamtzahl der auszusprechenden Kündigungen diesem Proporz entsprechend auf die einzelnen Altersgruppen verteilt wird. Die Beteiligung der einzelnen Altersgruppen an dem Personalabbau hat auch im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5. 2 KSchG streng proportional zu erfolgen. Eine altersgruppenbezogene Sozialauswahl führt zu einem – groben – Auswahlfehler in Bezug auf den klagenden Arbeitnehmer, wenn ihre Voraussetzungen nicht vorliegen und innerhalb der dann insgesamt zu betrachtenden Vergleichsgruppe ein in dem erforderlichen Maß weniger schutzbedürftiger Arbeitnehmer verschont bleibt.

 

Rz. 164

Im Insolvenzverfahren können nach der Auffassung des ArbG Cottbus unter eingeschränkten Voraussetzungen in einem Interessenausgleich mit Namensliste bei der zu treffenden Sozialauswahl zur Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur Fehlzeiten herangezogen werden. Dabei dürfen nur solche Fehlzeiten in einem angemessenen Zeitraum (z.B. zwei Jahre) berücksichtigt werden, die für die Zukunft relevant sein können. Die Berücksichtigung von Fehlzeiten allein in der Altersgruppe der 51- bis 60-Jährigen ist altersdiskriminierend und eine solche Auswahl ist grob fehlerhaft. Die Berücksichtigung von Fehlzeiten als alleiniges Kriterium in einer Altersgruppe führt zu einer unzulässigen personenbedingten Kündigung. Die Berücksichtigung von Fehlzeiten zur Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur kann nur bezogen auf den gesamten auswahlrelevanten Personenkreis erfolgen. Der auswahlrelevante Personenkreis kann in angemessene Gruppen mit unterschiedlichen Fehlzeiten aufgeteilt und die Kündigungen auf die Gruppen anteilig verteilt werden.[146]

 

Rz. 165

Das Gesetz bestimmt für die soziale Auswahl in § 125 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Hs. 2 InsO, dass es nicht als grob fehlerhaft anzusehen ist, wenn eine ausgewogene Pers...

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