Rz. 646

Zwar unterfällt der Bereich des betrieblichen Vorschlagswesens grundsätzlich der erzwingbaren Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 12 BetrVG, so dass im Falle der Kündigung die Nachwirkung des § 77 Abs. 6 BetrVG in Betracht kommt. Da in der Praxis jedoch häufig Betriebsvereinbarungen über das Vorschlagswesen auch freiwillige Regelungen (§ 88 BetrVG) enthalten, stellt sich, sofern die Betriebsparteien die Nachwirkung nicht ausdrücklich regeln, die Frage, ob auch der freiwillige Teil von der Nachwirkung umfasst ist. Grundsätzlich wirken bei teils erzwingbaren, teils freiwilligen Regelungen nur die Gegenstände nach, die der zwingenden Mitbestimmung unterfallen.[1542] Dies setzt jedoch voraus, die Betriebsvereinbarung sinnvoll in einen nachwirkenden und einen nachwirkungslosen Teil aufspalten zu können. Ist dies nicht möglich, entfaltet sie zur Sicherung der Mitbestimmung insgesamt Nachwirkung.[1543] Will der Arbeitgeber bei teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen seine finanziellen Leistungen vollständig und ersatzlos einstellen, tritt keine Nachwirkung ein – anders wenn die Herabsetzung des Dotierungsrahmens zugleich mit einer Änderung des Leistungsplans verbunden ist; will der Arbeitgeber lediglich den Dotierungsrahmen verringern, ohne den Verteilungsplan zu ändern, wirkt die Betriebsvereinbarung ausschließlich hinsichtlich des Verteilungsplans nach.[1544] Da der Arbeitgeber wegen der oben genannten Auswirkungen auf evtl. individuelle Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer die Leistung im Zweifel nicht ersatzlos entfallen lassen und auch nicht lediglich den Dotierungsrahmen verringern will, sondern den Leistungsplan ändern möchte, nach dem sich die Verteilung bemisst, wird man im Zweifel von einer Nachwirkung der gesamten Betriebsvereinbarung auszugehen haben. Für die Praxis empfiehlt sich eine ausdrückliche Regelung, zumal die Betriebsparteien auch in Fällen der echten Mitbestimmung die Nachwirkung einvernehmlich ausschließen dürfen.[1545] Um auch für die beteiligten Arbeitnehmer Klarheit zu schaffen, sollten die Betriebsparteien daher eindeutige Aussagen zur Nachwirkung treffen.[1546]

[1542] BAG 5.10.2010 – 1 ABR 20/09, NZA 2011, 598, 599; ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rn 108 ff.
[1543] BAG 26.8.2008 – 1 AZR 354/07, AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 = NZA 2008, 1426; Fitting u.a., § 77 BetrVG Rn 189 f.
[1544] Fitting u.a., § 77 BetrVG Rn 190 m.w.N.
[1545] BAG 17.1.1995 – 1 ABR 29/94, AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung; Fitting u.a., § 77 BetrVG Rn 180.
[1546] Zum Problem der Nachwirkung bei Betriebsvereinbarungen über das betriebliche Vorschlagswesen siehe auch Rieble/Gistel, DB 2005, 1382, 1387.

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