Rz. 298

Der Arbeitgeber kann seinen Arbeitnehmern mehr bezahlen, als der Tarifvertrag vorsieht, etwa durch eine Zulage. Der Grund dafür kann sein, dass der Arbeitgeber einen Anreiz für besonders qualifizierte Arbeitnehmer setzen möchte, er eine engere Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen herbeiführen will oder er die tarifliche Vergütung aus anderen Gründen für unangemessen hält. Bei solchen Zulagen differenziert das BAG begrifflich zwischen übertariflichen und außertariflichen Zulagen. Eine "übertarifliche Zulage" ist eine Zulage, die über eine im Tarifvertrag vorgesehene Leistung hinausgeht; eine "außertarifliche Zulage" ist eine Zulage, die eine Leistung vorsieht, die es im Tarifvertrag nicht gibt.[854]

 

Rz. 299

Bei Gewährung einer übertariflichen oder außertariflichen Zulage ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beachten. Dieses bezieht sich allerdings nicht darauf, ob und in welcher Höhe der Arbeitgeber Mittel für eine Zulage bereitstellt ("Dotierungsrahmen"), welcher Personenkreis begünstigt werden soll und welchen Zweck die Zulage verfolgen soll, sondern ausschließlich darauf, wie eine etwaige Zulage verteilt wird.[855]

 

Rz. 300

Kommt es später zu Tariflohnerhöhungen, können diese auf die Zulage angerechnet werden. Solche tarifliche Lohnerhöhungen können auch durch Alterssprünge, Umgruppierungen und Arbeitszeitreduzierungen entstehen.[856] Die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung kann ebenfalls unter das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG fallen. Wird die Tariflohnerhöhung aber vollständig und gleichmäßig auf alle Arbeitnehmer angerechnet oder zwar nicht vollständig, aber bei allen Arbeitnehmern gleichmäßig zu einem bestimmten Prozentsatz, so ist das mitbestimmungsfrei.[857] Wurde in einem Beschlussverfahren ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf eine freiwillige Zulage rechtskräftig verneint, so hat diese Entscheidung eine präjudizielle Bindungswirkung für nachfolgende Individualverfahren.[858]

 

Rz. 301

Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG übt grundsätzlich der lokale Betriebsrat aus. Will der Arbeitgeber allerdings eine freiwillige Leistung einführen, darf er ihre Gewährung von einer überbetrieblichen Regelung abhängig machen und auf diese Weise die Zuständigkeit des Gesamt- oder Konzernbetriebsrats für den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung herbeiführen.[859]

 

Rz. 302

Die Betriebsvereinbarung über eine außer-/übertarifliche Zulage betrifft eine freiwillige Leistung. Deshalb gibt es bei Beendigung der Betriebsvereinbarung, weil die betreffenden Leistungen vollständig eingestellt werden sollen, grundsätzlich keine Nachwirkung.[860] Allerdings muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat und/oder den begünstigten Mitarbeitern aus Gründen der Rechtsklarheit mitteilen, dass die Zulage ersatzlos entfällt, weil er dafür keine Mittel mehr bereitstellt.[861] Anders liegen die Dinge, wenn der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarung kündigt, weil er das Volumen reduzieren und den Verteilungsschlüssel ändern will. Dann wird die Nachwirkung der gesamten Betriebsvereinbarung bejaht.[862]

 

Rz. 303

Bei der Gewährung einer außertariflichen/übertariflichen Zulage durch eine Betriebsvereinbarung ist die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG zu beachten. Es wird allgemein wie folgt differenziert: Zulagen, welche ohne besondere Voraussetzungen das tarifliche Entgelt erhöhen, fallen regelmäßig unter § 77 Abs. 3 BetrVG. Dann bedarf es für eine Betriebsvereinbarung einer Öffnungsklausel im Tarifvertrag. Dagegen ist bei Zulagen, welche tariflich nicht geregelte Sonderleistungen von Arbeitnehmern honorieren oder Sondertatbestände betreffen, § 77 Abs. 3 BetrVG regelmäßig nicht einschlägig.[863]

[854] BAG 7.2.2007 – 5 AZR 41/06, NZA 2007, 934; Hunold, NZA 2007, 912.
[855] BAG 26.5.1998 – 1 AZR 704/97, AP Nr. 98 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; ErfK/Kania, § 87 BetrVG Rn 107 f.
[856] Arens/Düwell/Wichert/Wichert, § 7 Rn 323 ff.
[857] BAG 8.6.2004 – 1 AZR 308/03, NZA 2005, 66, 67; ArbG Nürnberg 14.6.2012 – 15 Ca 5165/11, BeckRS 2013, 69478; LAG Düsseldorf 9.2.2012 – 5 TaBV 74/11, BeckRS 2014, 71742; Arens/Düwell/Wichert/Wichert, § 7 Rn 355 ff.; Ziepke/Schneider, Anrechnung und Widerruf, S. 59 f.; Roloff, RdA 2014, 228, 231 f.
[861] Vgl. BAG 5.10.2010 - 1 ABR 20/09, NZA 2011, 598; dazu Salamon, NZA 2011, 549; Grau/Sittard, RdA 2013, 118.
[862] BAG 26.10.1993 – 1 AZR 46/93, NZA 1994, 572; vgl. auch ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rn 109.
[863] Zum ganzen Fitting u.a., § 77 Rn 84 ff.; Richardi/Richardi, § 77 Rn 299 ff.; DKKW/Berg, § 77 Rn 130, alle mit weiteren Nachweisen.

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