Rz. 228

Einkünfte des Kindes kommen grundsätzlich beiden Elternteilen zugute, sofern beide Bar- bzw. Naturalunterhalt leisten.

aa) Einkünfte aus unzumutbarer Erwerbstätigkeit

 

Rz. 229

Etwas anderes gilt jedoch für die Einkünfte des minderjährigen Kindes, die es aus unzumutbarer Erwerbstätigkeit erzielt.

 

Rz. 230

Solche überobligatorischen Einkünfte des minderjährigen Kinds sind jedoch nicht grundsätzlich von der Anrechnung auf den Bedarf ausgenommen. Vielmehr ist die Prüfung, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe eine Anrechnung von überobligatorisch erzielten Einkünften des minderjährigen Kindes auf seinen Bedarf zu erfolgen hat, anhand von Billigkeitserwägungen vorzunehmen. In entsprechender Anwendung[294] des Rechtsgedankens des § 1577 Abs. 2 wird man im Ergebnis regelmäßig zur – zumindest teilweisen – Anrechnung der Einkünfte gelangen.[295]

 

Rz. 231

Das Einkommen des minderjährigen Kindes ist in einen unterhaltsrelevanten (anrechnungspflichtigen) und nicht unterhaltsrelevanten (nicht anrechnungspflichtigen) Teil aufzuspalten. Maßstab für diese Aufteilung sind die allgemeinen Grundsätze.[296] Danach ist § 1577 Abs. 2 entsprechend anzuwenden. Wird vom Schuldner nicht der volle Unterhalt geleistet (§ 1577 Abs. 2 Satz 1), werden die Einkünfte des minderjährigen Kindes nicht angerechnet. Ansonsten erfolgt die Anrechnung in Anwendung der Differenz-/Additionsmethode, wenn und soweit die Anrechnung unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse billig erscheint (§ 1577 Abs. 2 Satz 2).[297]

 

Rz. 232

 

Praxistipp

Vom minderjährigen Kind erzielte Einkünfte werden in entsprechender Anwendung des § 1577 Abs. 2 Satz 1 auf seinen Bedarf nicht angerechnet, wenn und soweit der Unterhaltsschuldner nicht den vollen Unterhalt – einschließlich Mehrbedarf – leistet.

[294] Weinreich/Eder, § 1602 Rn 21.
[295] BGH FamRZ 1995, 475; OLG Brandenburg FamRZ 2011, 1067.
[296] Weinreich/Eder, § 1602 Rn 21.
[297] BGH FamRZ 1987, 470; FamRZ 1983, 146.

bb) Einkünfte aus geringfügiger Erwerbstätigkeit

 

Rz. 233

Bei Einkünften des minderjährigen Kindes aus geringfügiger Tätigkeit handelt es sich um solche, die aus einer regelmäßigen Nebentätigkeit zur Aufbesserung des Taschengelds stammen, also dem Geben von Nachhilfe, dem Austragen von Zeitungen usw. Diese Einkünfte werden dem Minderjährigen nicht auf seinen Bedarf angerechnet.[298] Einkünfte des minderjährigen Kindes aus Ferienjobs werden ebenso behandelt.

 

Rz. 234

 

Praxistipp

Das minderjährige Kind verdient zu seinem Taschengeld lediglich "dazu", dieses wird durch eigene Tätigkeit aufgebessert. Daher unterbleibt in entsprechender Anwendung des Rechtsgedanken des § 1577 Abs. 2 Satz 1 die Anrechnung auf den Bedarf.

 

Rz. 235

Hinter diesem Grundsatz steht der Gedanke, dass grundsätzlich jedem Menschen ein anrechnungsfreier Zuverdienst bis zu einer an das "Existenzminimum" jedes arbeitenden Menschen anlehnenden Höhe verbleiben muss.[299] Allerdings ist dies jedenfalls dann differenziert zu betrachten, wenn das unterhaltsberechtigte minderjährige Kind höhere Einkünfte, nämlich "höher als ein großzügig bemessenes Taschengeld", erzielt. Dann sollen die Einkünfte aus Billigkeitsgründen zumindest teilweise – in der Regel in Höhe der Hälfte[300] – auf den Bedarf angerechnet werden.[301]

 

Rz. 236

 

Praxistipp

Die Höhe des auf den Bedarf des minderjährigen Kindes anzurechnenden Teils seiner Einkünfte ist immer am konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu bemessen.[302] Es ist eine Billigkeitsentscheidung zu treffen.

 

Rz. 237

Außerdem müssen im Rahmen der Billigkeitsentscheidung entsprechend des Rechtsgedanken des § 1577 Abs. 2 Satz 2 auch die schutzwürdigen Belange des/der Unterhaltsschuldner in die Abwägung mit einbezogen werden,[303] da jedenfalls deren wirtschaftliche Verhältnisse Berücksichtigung zu finden haben.

 

Rz. 238

 

Praxistipp

Der Unterhaltsschuldner ist darlegungs- und beweisbelastet, dass ihn das Bestehen der Unterhaltspflicht hart trifft. Besondere Tüchtigkeit des minderjährigen Schülers rechtfertigen nicht, von der Anrechnung auf den Bedarf Abstand zu nehmen.[304]

 

Rz. 239

All diese Erwägungen spielen keinerlei Rolle, wenn das minderjährige behinderte Kind Einkünfte aus einer Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte erzielt. Diese Einkünfte werden nicht bedarfsdeckend berücksichtigt. Die Vergütung für eine solche Tätigkeit deckt nicht den Lebensbedarf des minderjährigen behinderten Kindes, sondern stellt eine Anerkennung der Leistung sowie den Versuch der Vorbereitung der Eingliederung in das Erwerbsleben dar.[305]

[298] OLG Hamm OLGR 2000, 176 (Ls.).
[299] BGH FamRZ 1995, 475.
[300] OLG Hamm FamRZ 1997, 231.
[301] BGH FamRZ 1983, 152.
[302] Weinreich/Eder, § 1602 Rn 28 m.w.N.
[303] OLG Köln FamRZ 1996, 1101.
[304] OLG Köln FamRZ 1996, 1101; OLG Zweibrücken NJWE-RR 2001, 4.
[305] OLG Oldenburg FamRZ 1996, 625; FamRZ 1999, 126.

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