Rz. 81

Die wenig geglückte Vorschrift des § 2318 Abs. 3 BGB ist nur im Zusammenhang mit § 2306 BGB zu verstehen[144] und bietet daher immer wieder Anlass zu Haftungsfällen. Der eigene Pflichtteil des Erben wird gegen Beschränkungen und Beschwerungen primär durch § 2306 BGB geschützt: Der pflichtteilsberechtigte Erbe muss daher immer ausschlagen, um den unbelasteten Pflichtteil zu erhalten. Hat er dies versäumt, so treffen ihn die Vermächtnisse und Auflagen auch dann, wenn sie in seinen Pflichtteil eingreifen, sie können diesen sogar völlig aufzehren.[145]

 

Rz. 82

§ 2318 Abs. 3 BGB betrifft den Fall, dass neben solchen Vermächtnissen oder Auflagen noch fremde Pflichtteilsansprüche gegen den Erben geltend gemacht werden und er dadurch zusätzlich beeinträchtigt ist.[146] Die Vorschrift gibt also dem Erben kein allgemeines Verteidigungsrecht gegen die angeordneten Vermächtnisse oder Auflagen (hier ist Ausschlagung nach § 2306 Abs. 1 BGB erforderlich), sondern nur gegen die zusätzlich geltend gemachten Pflichtteilsansprüche anderer. Daher enthält das Gesetz die Wendung "wegen der Pflichtteilslast" und nicht "wegen des eigenen Pflichtteilsrechts". Die Vorschrift stellt sich somit letztlich als Regelung des Konkurrenzverhältnisses bei Zusammentreffen von eigenem Pflichtteil des Erben, angeordneten Vermächtnissen und Auflagen und geltend gemachten Pflichtteilsansprüchen Dritter dar.[147] § 2318 Abs. 3 BGB berechtigt daher den Erben zur Kürzung von Vermächtnissen und Auflagen nur um den Betrag, um den die Pflichtteilslasten der anderen Pflichtteilsberechtigten seinen eigenen Pflichtteil zusätzlich beeinträchtigen würden.[148] Er bestimmt daher die Opfergrenze nur im Hinblick auf neu hinzukommende Pflichtteilsansprüche (Doppelbelastung), nicht aber auf die vom Erblasser angeordneten Belastungen.

 

Beispiel

Der Nachlass hat einen Wert von 32.000 EUR. Der Wert der Vermächtnisse beträgt 24.000 EUR. Alleinerbe ist das einzige Kind K. Witwe W aus Zugewinngemeinschaftsehe erhält nur den Pflichtteil. Dieser beträgt 4.000 EUR. Nimmt K die Erbschaft an, so verbleiben ihm nach Abzug der Vermächtnisse 8.000 EUR. Das ist weniger als sein Pflichtteil (⅜ = 12.000 EUR). § 2318 Abs. 3 BGB hilft ihm aber nicht, diesen voll zu verteidigen; gegen die Vermächtnisse hätte es sich durch Ausschlagung schützen müssen. § 2318 Abs. 3 BGB hilft ihm nur, die Vermächtnisse insoweit zu kürzen, als durch die Pflichtteilslast aus dem Anspruch der W noch weitere Belastungen auf ihn hinzukommen. Das sind 4.000 EUR, um die es die Vermächtnisse kürzen kann.[149]

 

Rz. 83

Auch § 2318 Abs. 3 BGB ist zwingend, wie sich schon aus dem Wortlaut des § 2324 BGB ergibt, aber vor allem aus dem Normzweck: § 2318 Abs. 3 BGB will den Erben gegen eine über § 2306 Abs. 1 BGB hinausgehende Drittbelastung schützen, weshalb abweichende Erblasseranordnungen ausgeschlossen sein sollten (str.).[150] § 2318 Abs. 3 BGB greift auch bei Vorliegen einer Erbengemeinschaft ein; daran ändert auch die Vorschrift des § 2319 BGB nichts, die einen anderen Schutzzweck verfolgt und erst nach der Erbauseinandersetzung eingreift.[151]

 

Rz. 84

Wenn § 2318 Abs. 2 und 3 BGB zusammentreffen, weil sowohl Erbe als auch Vermächtnisnehmer pflichtteilsberechtigt sind, so geht nach h.M. der Pflichtteil des Erben vor,[152] jedoch kann der Vermächtnisnehmer das Vermächtnis ausschlagen und dann den ungekürzten Pflichtteil verlangen (§ 2307 BGB).[153]

 

Praxishinweis

Die sich aus § 2318 BGB ergebenden Tücken sind insb. zu beachten

schon bei der Gestaltung der Verfügung von Todes wegen, so dass die Frage der Tragung der Pflichtteilslast im Rahmen der nach § 2324 BGB möglichen Erblasseranordnung zu regeln ist (siehe auch § 12 Rdn 12 ff.);[154]
nach Eintritt des Erbfalls bei der Beratung hinsichtlich der Verteidigung des eigenen Pflichtteils des Erben; hier ist die Ausschlagungsnotwendigkeit des § 2306 Abs. 1 BGB zu beachten. Weiter sind bei der Erfüllung von Vermächtnissen und Auflagenanordnungen die sich aus § 2318 BGB ergebenden Konsequenzen zu beachten. In all diesen Fällen droht eine ganz erhebliche Haftungsgefahr für den Rechtsberater.
[144] BGHZ 95, 222, 227 = NJW 1985, 2828; Kuchinke, JZ 1986, 90; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 37 IX 3 a; Tanck, ZEV 1998, 132, 133.
[145] BGH WM 1981, 335; BGHZ 95, 222, 227.
[146] BGHZ 95, 222, 227; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 37 IX 3 a; MüKo-BGB/Lange, § 2318 Rn 11; Soergel/Dieckmann, § 2318 Rn 13; Tanck, ZEV 1998, 132, 133; Schlitt, ZEV 1998, 91, 92.
[147] In diese Richtung auch Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 37 IX 3 a.
[148] BGHZ 95, 222, 227; Palandt/Weidlich, § 2318 Rn 4; Soergel/Dieckmann, § 2318 Rn 13; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 37 IX 3 a; Gottwald, § 2318 Rn 15.
[149] Aus Staudinger/Haas (Neubearb. 2006), § 2318 Rn 26, 2. Beispiel; vgl. auch Tanck, ZEV 1998, 132, 133; Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049, 2055.
[150] v. Olshausen, FamRZ 1986, 524, 526 Fn 16; Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049, 2055; Soergel/Dieckmann, § 2318 Rn 15; MüKo-BGB/Lange, § 2318 Rn 12; Staudinger/Haas (Neube...

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