Rz. 74

Der Pflichtteilsbeitrag des Erben verhält sich zu dem des Vermächtnisnehmers (Auflagebegünstigten) wie die reine Vermögensbeteiligung des Erben zu der des Vermächtnisnehmers (Auflagebegünstigten) am Nachlass.[124] Der Nachlasswert wird hier anders als bei § 2311 BGB berechnet, weil der Wert der Vermächtnisse und Auflagen zu berücksichtigen ist, der Pflichtteilsanspruch aber nicht.[125] Die Kürzung wird hier individuell für jedes Vermächtnis/jede Auflage gesondert berechnet. Der Kürzungsbetrag errechnet sich demnach nach der sog. Martin’schen Formel:[126]

 

Beispiel

Der Nachlass beträgt 80.000 EUR. Alleinerbe ist der Fremde F. Einziger Pflichtteilsberechtigter ist der Sohn S. Das Vermächtnis für B beträgt 20.000 EUR. Das Vermächtnis kann demnach um 10.000 EUR gekürzt werden.[127]

 

Rz. 75

Nach einer Faustformel lässt sich der Kürzungsbetrag i.d.R. einfacher errechnen: Wie bei der vereinfachten Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs kann der Erbe das Vermächtnis oder die Auflage um den Prozentsatz kürzen, der der Pflichtteilsquote des Pflichtteilsberechtigten am Nachlass entspricht, hier also um 50 %. Diese Methode versagt jedoch bei Anrechnungs- und Ausgleichungspflichten (§§ 2315 f. BGB), da es hier zu einer abweichenden Pflichtteilsbeteiligung kommt.[128]

 

Rz. 76

Wenn mehrere Vermächtnisse oder Auflagen bestehen, kann der Erbe jedem Begünstigten gegenüber die verhältnismäßige Kürzung geltend machen, sofern nicht § 2318 Abs. 2 BGB oder § 2189 BGB dem entgegensteht.[129] Der Kürzungsbetrag ist dabei für jedes Vermächtnis nach obiger Formel (siehe Rdn 74) festzustellen.[130] Soweit das Vermächtnis oder die Auflage eine unteilbare Leistung betrifft (z.B. Nießbrauch oder Wohnungsrecht, Schmuck), muss der Vermächtnisnehmer den entsprechenden Kürzungsbetrag beim Vermächtnisvollzug in Geld an den Erben leisten. Kann oder will der Vermächtnisnehmer (Auflagebegünstigte) dies nicht, so muss der Erbe statt des Vermächtnisobjekts nur den gekürzten Schätzwert zahlen.[131] Soweit der Vermächtnisnehmer seinerseits durch Untervermächtnisse beschwert ist, kann er die Kürzung "weitergeben" und diese verhältnismäßig nach §§ 2188, 2189 BGB kürzen.

 

Rz. 77

Zur Verteilung der Pflichtteilslast bei mehreren Miterben und zu den Auswirkungen der Anwachsung eines überbeschwerten Erbteils siehe ausführlich Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049, 2058 f.

[124] So etwa Soergel/Dieckmann, § 2318 Rn 3; KG FamRZ 1977, 267, 269.
[125] Staudinger/Haas (Neubearb. 2006), § 2318 Rn 11; Planck/Greiff, § 2318 Anm. 2.
[126] Martin, ZBlFG 14, 789 ff; Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049, 2054.
[127] Vgl. auch Staudinger/Haas (Neubearb. 2006), § 2318 Rn 13.
[128] Soergel/Dieckmann, § 2318 Rn 4; Palandt/Weidlich, § 2318 Rn 2.
[129] Soergel/Dieckmann, § 2318 Rn 6; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 37 Fn 394; MüKo-BGB/Lange, § 2318 Rn 6.
[130] Vgl. auch die Berechnung bei Kipp/Coing, Erbrecht, § 12 II 2 c.
[131] BGHZ 19, 309, 311 f. = LM Nr. 1 zu § 2322 BGB m. Anm. Johannsen; MüKo-BGB/Lange, § 2318 Rn 3; Soergel/Dieckmann, § 2318 Rn 5.

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