Rz. 169

Gemäß § 2078 Abs. 2 Alt. 1 BGB ist ein Motivirrtum gegeben, wenn der Erblasser durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstands zu seiner Verfügung bestimmt worden ist. Im Gegensatz zu einer Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB handelt es sich bei einem Motivirrtum grundsätzlich hinsichtlich jeden Beweggrundes um einen beachtlichen, zur Anfechtung berechtigenden Irrtum.[236]

Voraussetzung ist jedoch,

dass im Zeitpunkt der Testamentserrichtung eine Erwartung oder Vorstellung des Erblassers vorgelegen hat,
dass diese Erwartung oder Vorstellung wesentlicher Bestimmungsgrund für die Testamentserrichtung gewesen sein muss
und die qualifizierte Erwartung oder Vorstellung letztlich fehlgeschlagen sein muss.
 

Rz. 170

Die Erwartungen des Erblassers müssen in der Verfügung von Todes wegen nicht ihren Niederschlag gefunden haben, es müssen aber Umstände vorliegen, die in die Richtung solcher Vorstellungen des Erblassers bei der Testamentserrichtung deuten.[237] Hat sich der Erblasser keine konkreten Gedanken gemacht, sind Umstände der Testamentserrichtung jedoch in der Vorstellungswelt des Erblassers selbstverständlich, kann auch bezüglich dieser selbstverständlichen Vorstellungen ein Motivirrtum vorliegen.[238] Dabei können allerdings nur besonders schwerwiegende Umstände eine Anfechtung begründen, die ihn im konkreten Fall auch unter Berücksichtigung der dem Erblasser eigenen Vorstellungen mit Sicherheit dazu gebracht hätten, anders zu testieren.[239]

 

Rz. 171

Keine Anfechtung wegen eines Motivirrtums ist dagegen möglich, wenn bei Testamentserrichtung jegliche Vorstellungen des Erblassers bezüglich eines Umstandes fehlten.[240]

Ein Motivirrtum liegt vor, wenn der Erblasser angenommen hat,

er oder sein überlebender Ehegatte werde nicht mehr heiraten;
die Bedachten seien miteinander verheiratet;[241]
der Nachlass werde auf gemeinsame Abkömmlinge übergehen;[242]
einzelne Abkömmlinge seien wirtschaftlich besser gestellt als andere;
der Bedachte werde eine bestimmte Gegenleistung erbringen[243] oder ihn pflegen;[244]
sein Vermögen habe einen bestimmten Umfang;
seine Ehe mit der Bedachten werde harmonisch verlaufen;[245]
es bestehe ein bestimmtes Verwandtschaftsverhältnis zum Bedachten;
es werde demnächst eine Ehe geschlossen werden oder ein gezeugtes Kind werde lebend zur Welt kommen;[246]
jemand werde eine bestimmte Ausbildung erfolgreich durchlaufen;
jemand habe treue Dienste geleistet bzw. werde dies in Zukunft tun;[247]
der Bedachte werde nicht einer religiösen Sekte mit einschlägigen vermögensmäßigen Folgen angehören;[248]
er sich über das künftige Verhalten des Bedachten ihm gegenüber geirrt hat;[249]
dass der Erbe oder ein Dritter ihn in bestimmter Weise betreuen würde;[250]
zwischen ihm und dem Bedachten werde bis zum Tod eines von ihnen Eintracht herrschen und der Bedachte werde alles vermeiden, was dem Erblasser Schwierigkeiten bereiten könnte;[251]
er und der Bedachte würden friedlich und harmonisch im selben Haus zusammenleben;[252]
der Bedachte werde seine politische Einstellung nicht ändern;[253]
der Bedachte werde nicht durch grobe Fahrlässigkeit (Trunkenheitsfahrt) den Tod des Erblassers verursachen;[254]
ein zukünftiger Vermögenserwerb werde nicht eintreten;[255]
die Entwicklung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse würde anders verlaufen.[256]
 

Rz. 172

Muster 2.7: Anfechtung wegen Motivirrtums

 

Muster 2.7: Anfechtung wegen Motivirrtums

An das Amtsgericht

Nachlassgericht (in Baden-Württemberg das staatliche Notariat)

_________________________

In der Nachlasssache _________________________, Aktenzeichen _________________________

erkläre ich namens meiner Mandantin, _________________________, und unter Vorlage auf mich lautender Originalvollmacht _________________________ die Anfechtung der letztwilligen Verfügung des Erblassers vom _________________________ wegen Vorliegen eines Motivirrtums gem. § 2078 Abs. 2, 1. Alt. BGB.

Begründung:

Der Erblasser hatte bei Errichtung der letztwilligen Verfügung die Fehlvorstellung, die zur Alleinerbin eingesetzte Schwester der Anfechtenden würde den Erblasser pflegen und ihn betreuen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Testaments.

Beweis: Testament vom _________________________

Tatsächlich hat die Alleinerbin gem. der voranstehenden letztwilligen Verfügung den Erblasser aber zu keinem Zeitpunkt gepflegt. Vielmehr hat sich der Erblasser bereits zu Lebzeiten dazu entschlossen, eine Eigentumswohnung zu kaufen und zu beziehen, die einem betreuten Wohnprogramm angeschlossen ist. Der Erblasser wurde sodann mit Eintritt der Pflegebedürftigkeit durch Mitarbeiter dieses betreuten Wohnprogrammes versorgt und gepflegt.

Beweis: Zeugen _________________________

Hätte der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung gewusst, dass seine testamentarisch eingesetzte Alleinerbin ihn niemals pflegen würde, hätte er diese auch nicht zur Alleinerbin eingesetzt.

Die falsche Annahme des Erblassers, die...

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