Rz. 146

Ist fraglich, ob überhaupt ein gemeinschaftliches Testament vorliegt, weil die Eheleute in getrennten Urkunden oder zeitlich versetzt testiert haben,[196] kann eine Auslegung zu dem Ergebnis gelangen, dass ein gemeinschaftliches Testament bei Einhaltung der Formvorschriften im Übrigen vorliegt.[197]

 

Rz. 147

Auslegungsbedürftig kann auch die Frage der Wechselbezüglichkeit eines gemeinschaftlichen Testaments sein. Wechselbezüglich kann sowohl die Erbeinsetzung als auch die Vermächtnisanordnung oder eine Auflage sein. Die Frage der Wechselbezüglichkeit ist dabei für jede einzelne Verfügung gesondert zu überprüfen.[198] Vor der Anwendung der gesetzlichen Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB sind bei gemeinschaftlichen Testamenten zunächst alle Umstände des Einzelfalles heran zu ziehen.

Ist so kein Ergebnis zu erzielen, so spricht es gem. § 2270 Abs. 2 BGB für eine Bindungswirkung, wenn ein Ehegatte dem anderen eine Zuwendung macht und für den Fall des Überlebens eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem erstversterbenden Ehegatten verwandt ist oder ihm nahesteht. "Nahestehen" ist dabei eng auszulegen[199] und gilt bspw. für die Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder als Schlusserben[200] oder für den Fall, dass sich kinderlose Ehegatten gegenseitig als Alleinerben einsetzen und jeweils ein eigenes und ein Geschwister des anderen Ehegatten als Schlusserben bestimmen.[201]

 

Rz. 148

Eine Wechselbezüglichkeit bei gemeinschaftlichen Testamenten wird i.d.R. nicht vorliegen, wenn

das Vermögen kopflastig bei nur einem Ehegatten liegt, da schon fraglich ist, ob sich der vermögende Ehegatte überhaupt einer Bindung unterwerfen wollte;[202]
die testierenden Ehegatten mit den Schlusserben nicht verwandt oder nicht verschwägert sind[203] bzw. lediglich ein freundschaftliches Verhältnis bestand;[204]
wenn der andere Ehegatte mit einer Freistellungsklausel berechtigt ist, einen anderen Schlusserben einzusetzen.
 

Rz. 149

Die Tatsache, dass der überlebende Ehegatte berechtigt ist, lebzeitig zu verfügen, schließt dagegen eine Wechselbezüglichkeit nicht aus.[205] Bei einer gleichlautenden Verfügung zugunsten eines Dritten kann eine Wechselbezüglichkeit auch dann angenommen werden, wenn die Verfügung von Todes wegen ansonsten eine Zuwendung an den Ehegatten nicht enthält.[206]

 

Rz. 150

Bei der Frage, ob die Ehegatten die Einheitslösung (alleiniger Vollerbe und Schlusserbe) oder die Trennungslösung (Vor- und Nacherbschaft) i.S.d. § 2269 BGB wollten, ist zuerst der Wortlaut des Testaments heranzuziehen. Die Verwendung von Rechtsbegriffen im Laientestament, aber auch im notariellen Testament,[207] ist dabei weniger maßgeblich als die gewollten rechtlichen und tatsächlichen Folgen der von den Ehegatten gewollten Vermögensflüsse im Erbfall. So kann trotz der Verwendung der Begriffe Vor- und Nacherbe letztlich die Einheitslösung gewollt sein. Die Verwendung einer Pflichtteilsklausel kann für die Einheitslösung sprechen, da diese hier eine typische Sanktion ist.[208]

Umgekehrt spricht für eine Vor- und Nacherbschaft, wenn jeder Ehegatte nach dem Tod des Überlebenden von seinen eigenen Verwandten beerbt werden soll.[209] Wenngleich die Vermögensverhältnisse der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung keine Schlüsse auf einen Erblasserwillen zulassen,[210] kann für eine befreite Vorerbschaft sprechen, dass die Ehefrau erheblich zum Erwerb des Erblasservermögens beigetragen hat, zumindest dann, wenn statt der Kinder ein entfernter Verwandter eingesetzt wird.[211]

 

Rz. 151

Auslegungsbedürftig kann bei einer Wiederverheiratungsklausel, die im Rahmen der Vor- und Nacherbschaft den Eintritt der Nacherbfolge zum Zeitpunkt der Wiederverheiratung vorsieht, die Frage sein, ob der Überlebende bei Inkrafttreten der Wiederverheiratungsklausel von einer wechselbezüglichen Schlusserbeneinsetzung in Bezug auf sein eigenes Vermögen frei wird. Hiervon ist i.d.R. auszugehen, so dass mit der Wiederheirat die getroffene Verfügung des Überlebenden für den zweiten Todesfall entsprechend § 2270 Abs. 1 BGB gegenstandslos wird, ohne dass es eines ausdrücklichen Widerrufs bedarf.[212]

 

Rz. 152

Hat der überlebende Ehegatte bei Wiederverheiratung den Nachlass an die Kinder herauszugeben oder tritt für diesen Fall gesetzliche Erbfolge ein, ergibt sich folgende rechtliche Konstellation: Bis zur Wiederverheiratung ist der überlebende Ehegatte auflösend bedingter Vollerbe und gleichzeitig aufschiebend bedingter Vorerbe, allerdings von den Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB befreit.[213]

 

Rz. 153

Wurde für den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Ehegatten ein Dritter zum Erben eingesetzt, kann die Auslegungsregel des § 2269 BGB nicht für den Fall herangezogen werden, dass die Ehegatten nacheinander versterben.[214] Allerdings ist der Begriff des gleichzeitigen Versterbens selbst auslegbar, so dass auch ein Versterben nacheinander mit umfasst sein kann.[215] Gegebenenfalls kann eine Auslegung auch ergeben, dass die Anordnung nicht nur für ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge