a) Allgemeines
Rz. 160
Die Anfechtung letztwilliger Verfügungen ist in den §§ 2078–2083 BGB gesondert geregelt. Die hier geregelten Anfechtungsgründe gehen den allgemeinen Anfechtungsvorschriften der §§ 119 ff. BGB vor.
Eine Anfechtung kann jedoch nur für den Fall erfolgen, dass eine Auslegung der letztwilligen Verfügung nicht möglich ist, da die Auslegung der Anfechtung immer vorgeht.[225] Nur wenn der wirkliche oder hypothetische Wille des Erblassers nicht ermittelt werden kann, sind die Anfechtungsvoraussetzungen zu prüfen.[226]
Rz. 161
Hinweis
Die Auslegung verhilft dem Willen des Erblassers zur Wirksamkeit, die Anfechtung vernichtet die letztwillige Verfügung, so dass gesetzliche Erbfolge eintritt.[227]
b) Anfechtungsgründe
aa) Erklärungsirrtum
Rz. 162
Ein Erklärungsirrtum gem. § 2078 Abs. 1 Alt. 2 BGB liegt vor, wenn das äußere Erklärungsverhalten nicht dem tatsächlichen Willen des Erblassers entspricht, dieser sich also verschreibt, verspricht oder vergreift.
Rz. 163
Beispiele eines Erklärungsirrtums sind:
▪ | Verschreiben beim eigenhändigen Testament gem. § 2247 BGB; |
▪ | Irrtum des Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament über den Wortlaut der von ihm mitunterschriebenen Verfügung gem. § 2267 Abs. 1 BGB; |
▪ | Irrtum über den Wortlaut der dem Notar übergebenen Verfügung gem. § 2232 S. 2 BGB bzw. der von diesem errichteten Niederschrift gem. § 2232 S. 1 BGB; |
▪ | die Tatsache, dass der Erblasser eigentlich nur ganz unverbindlich seine Nachlassüberlegungen und -gedanken festhalten wollte, tatsächlich aber ein formgültiges eigenhändiges Testament geschaffen hat. |
Hinweis
Ist bspw. bei einer Namensverwechslung der wirkliche Wille des Erblassers im Weiteren aber im Testament verkörpert, ist die Auslegung hier gleichfalls vorrangig, die Kassationswirkung einer erfolgreichen Anfechtung kann durch eine Auslegung somit vermieden werden.[228]
Rz. 164
Da § 2078 Abs. 1 Alt. 2 BGB denselben Tatbestand wie § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB regelt, sind die dortigen Grundsätze entsprechend anzuwenden.[229]
Rz. 165
Muster 2.6: Anfechtung wegen Erklärungsirrtums
Muster 2.6: Anfechtung wegen Erklärungsirrtums
An das Amtsgericht
Nachlassgericht (in Baden-Württemberg das staatliche Notariat)
_________________________
In der Nachlasssache _________________________, Aktenzeichen _________________________
erkläre ich namens meiner Mandantin, _________________________, und unter Vorlage auf mich lautender Originalvollmacht die Anfechtung der letztwilligen Verfügung des Erblassers vom _________________________. Der Erblasser hat sich bei der Errichtung der letztwilligen Verfügung verschrieben: er hat als Alleinerbin Frau Bertha Müller eingesetzt, die Mutter der Anfechtenden. Er wollte als Alleinerbin jedoch seine Ehefrau, die Anfechtende, Frau Bertha Müller-Meyer einsetzen, er hat sich jedoch insoweit verschrieben, als er vergessen hat, den zweiten Doppelnamen der Anfechtenden hier zu schreiben. Aus dem nachfolgenden Testament ergibt sich, dass der Erblasser seine Ehefrau, nicht aber seine Schwiegermutter zu seiner Alleinerbin einsetzen wollte.
Beweis: Testament vom _________________________
Insoweit liegt ein zur Anfechtung berechtigender Erklärungsirrtum nach § 2078 Abs. 1 Alt. 2 BGB vor.
bb) Inhaltsirrtum
Rz. 166
Auch bei einem Inhaltsirrtum ist § 119 Abs. 1 BGB entsprechend anzuwenden. Ein Inhaltsirrtum gem. § 2078 Abs. 1 Alt. 1 BGB ist gegeben, wenn sich der Erblasser über die Bedeutung der verwendeten Wörter oder die Rechtsnatur seiner Erklärung irrt. D.h. er erklärt zwar, was er erklären will, aber er irrt darüber, welchen rechtlichen Gehalt die letztwillige Verfügung erlangt bzw. welche verkehrsübliche Bedeutung sie hat.[230]
Ein Inhaltsirrtum liegt bspw. vor, wenn sich der Erblasser irrt über:
▪ | die rechtliche Bedeutung der Vor- und Nacherbeneinsetzung |
▪ | das Vorhandensein einer erbvertraglichen Bindung |
▪ | die gesetzliche Erbfolge |
▪ | die Widerrufswirkung der Rücknahme eines öffentlichen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung gem. § 2256 BGB |
▪ | die Notwendigkeit der Ausschlagung nach § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB.[231] |
Rz. 167
Ein Irrtum über die Rechtsfolgen einer letztwilligen Verfügung stellt somit zwar grundsätzlich einen Anfechtungsgrund dar, allerdings nur insoweit, als er sich auf wesentliche Rechtsfolgen und damit auf die Rechtsnatur als solche bezieht.[232]
cc) Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung oder Täuschung
Rz. 168
Eine Anfechtung wegen einer widerrechtlicher Drohung gem. § 2078 Abs. 2 Alt. 2 BGB ist möglich, wenn der Erblasser durch eine solche zu der Verfügung bestimmt wurde. Eine Drohung liegt vor, wenn der Drohende angibt, ein künftiges Übel, auf dessen Eintritt oder Nichteintritt der Drohende behauptet einwirken zu können, zu verwirklichen, wenn der Erblasser nicht die gewünschte...
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